Nur noch „Großverdiener“ müssen dem Sozialamt die Heimkosten der Eltern erstatten?
Noch ist das Gesetz nicht beschlossen, sondern liegt nur als Regierungsentwurf vor, aber dennoch muss man sich in der vorsorgenden Beratung schon damit befassen.
Es geht um das sogenannte „Angehörigen-Entlastungsgesetz“ – hier beurteilt in der Fassung vom 14.8.2019.
Zielgruppe dieser von der Bundesregierung versprochenen „Entlastung“ sind erwachsene Kinder, deren Eltern im Heim gepflegt werden. Deren Rente reicht meist nicht für die Heimkosten, denn im Durchschnitt liegt der Eigenanteil für einen Platz in einem Pflegeheim bei rund 1.700 Euro im Monat. Wenn also etwaiges Vermögen verzehrt ist, werden die Eltern zum Sozialfall.
Das Sozialamt geht dann in Vorleistung, leitet den Unterhaltsanspruch gegen die Kinder auf sich über – und dann ist zu prüfen, wie sehr der Staat die Kinder entlasten will.
Hier greift das Gesetzesvorhaben.
Bislang lag das bereinigte Nettoeinkommen eines Kindes, das ihn vor Inanspruchnahme schützte, bei 1.800 € netto. Wer nach Abzug unterhaltsrechtlich relevanter Belastungen weniger hatte, musste nichts zahlen, wer mehr hatte, musste davon die Hälfte abgeben. Für Eheleute galt ein gemeinsamer Sockelselbstbehalt von netto 3.240 €.
Das entspricht bei einem kinderlosen Single, der keine Abzugsposten wie Kredite, Fahrtkosten etc. hat, einem Jahresbrutto von knapp 33.000 €, bei Eheleuten von gemeinsamen rd. 70.000 €.
Neu soll nun sein, dass unterhalb von 100.000 € eigenem Bruttoeinkommen kein Kind für seine Eltern zahlen soll – jedenfalls nicht aus seinem Einkommen.
Dazu wird eine „gesetzliche Vermutung“ eingeführt: Es wird vermutet, dass das Einkommen der unterhaltsverpflichteten Personen die genannte Jahreseinkommensgrenze von 100.000 € brutto nicht überschreitet. Und auf das Einkommen des Schwiegerkindes soll es bei dieser Betrachtung erstmal nicht ankommen.
Allerdings darf das Sozialamt vom Antragsteller (also dem Elternteil im Heim) Angaben verlangen, die Rückschlüsse auf die Einkommensverhältnisse der Unterhaltspflichtigen zulassen.
Im Bereich der „Grundsicherung im Alter“ (Viertes Kapitel SGB XII) war dies schon länger so Gesetz und Praxis und führt z.B. dazu, dass die Grundsicherungsempfänger routinemäßig nach den Berufen der Kinder gefragt werden. Daraus schichtet der Sachbearbeiter ab, wer wohl evident keine 100.000 € verdient, aber auch, bei wem sich eine nähere Nachfrage lohnen könnte.
Diese schon länger für die Grundsicherung bestehende Regelung wird vom Vierten Kapitel in das für alle Leistungen des SGB XII geltende Elfte Kapitel SGB XII verschoben und entsprechend angepasst. Umfasst sind daher unter anderem auch die Leistungen der Hilfe zur Pflege, der Hilfe zum Lebensunterhalt sowie durch parallele Regelungen außerhalb des SGB XII die reformierte Eingliederungshilfe ab 2020 im Teil 2 SGB IX.
Wie bisher gilt aber: Liegen durch diese Angaben Anhaltspunkte für ein Überschreiten der Jahreseinkommensgrenze vor, so darf das Sozialamt dann doch wiederum bei den Kindern detaillierte Auskünfte verlangen.
Was solche „hinreichenden Anhaltspunkte“ sind, liegt im Ermessen der Ämter.
Außerdem können die Ämter im Blick haben, dass eine Unterhaltsleistungsfähigkeit nicht nur aus Einkommen, sondern auch aus Vermögen gezogen werden kann – und dann müssten sie sowieso Auskunft verlangen.
Das bedeutet, dass auch für Mandanten, die weniger als 100.000 € verdienen, ggf. weiter Beratungsbedarf besteht. Nämlich dann, wenn sie z.B. mietfrei wohnen (und dadurch die genannte Grenze überschreiten) oder hohes Vermögen haben.
Ob hier weiterhin die Vermögens-Schongrenzen Gültigkeit haben, die der BGH kreiert hat oder ob die Rechtsprechung diese Grenzen zwecks Entlastung weiter anhebt, ist abzuwarten. Denn laut Gesetzesbegründung soll der Familienverband entlastet und die Solidargemeinschaft stärker in die Verantwortung genommen werden. Die bisher bestehenden Strukturen der Einstandspflicht der Kinder beziehungsweise Eltern sollen weitestgehend aufgebrochen werden. Dem gesellschaftlichen Wandel werde durch eine stärkere Inanspruchnahme des Staates Rechnung getragen. Die Vorgaben des Koalitionsvertrages würden damit vollumfänglich umgesetzt und aus Gleichbehandlungsgründen grundsätzlich auf alle Leistungen der Sozialhilfe und Eingliederungshilfe erstreckt. Dasselbe wird nämlich auch für Eltern gelten, deren volljährige Kinder „Eingliederungshilfe“ beziehen.
Nach Angaben von Bundessozialminister Heil sollen rund 275.000 Betroffene durch das Gesetz entlastet werden.
Entlastung der Angehörigen bedeutet spiegelbildlich Mehrkosten für die Kommunen, die für die Sozialhilfe zuständig sind. Diese werden auf bis zu 300 Millionen Euro pro Jahr geschätzt.
In seiner 981. Sitzung am 11.10.2019 beriet der Bundesrat die Pläne der Bundesregierung, erwachsene Kinder pflegebedürftiger Eltern finanziell zu entlasten. In seiner Stellungnahme (BT-Drucks. 395/19(B)) fordert der Bundesrat die Bundesregierung auf, die von ihr vorgelegte Kostenschätzung zu überarbeiten: Unabhängig von der ohnehin lückenhaften Datengrundlage spiegele die derzeitige Kostenberechnung die Belastung für die Träger der Sozial- und Eingliederungshilfe nicht in angemessenem Umfang wider, kritisieren die Länder.
Bund soll Mehrbelastung kompensieren
Etwaige Mehrbelastungen für Länder und Kommunen müsse der Bund kompensieren und dies bereits im Gesetz verbindlich sicherstellen. Zu garantieren sei nicht nur die Übernahme der derzeit geschätzten Zusatzkosten, sondern auch davon abweichende zusätzliche Belastungen, die sich erst nach Inkrafttreten des Gesetzes zeigen. Bund und Länder müssten dann erneut über den angemessenen Umfang der Ausgleichszahlungen verhandeln. Wichtig sei daher, im Gesetz eine Kostenevaluation festzuschreiben.
Weitere Vorschläge des Bundesrates dienen dazu, der Zielsetzung des Entwurfs besser Rechnung zu tragen und die Umsetzung in die Praxis zu erleichtern. Sie betreffen unter anderem die Leistungen für junge Menschen in besonderen Ausbildungsstätten und stationären Einrichtungen oder besonderen Wohnformen. Zudem fordert der Bundesrat eine Übergangsregelung, um eine Finanzierungs- bzw. Rentenlücke für Menschen mit Behinderung zu schließen, die nach der Systemumstellung durch das neue Bundesteilhabegesetz für den Monat Januar 2020 droht.
Nächster Schritt: Gegenäußerung der Bundesregierung
Die Stellungnahme des Bundesrates wird nun der Bundesregierung zugeleitet. Diese verfasst eine Gegenäußerung dazu und reicht dann beide Dokumente in den Bundestag nach. Dieser hatte bereits im September mit seinen Beratungen begonnen.
Quelle: Bundesrat Kompakt - 981. Sitzung des Bundesrates am 11.10.2019
Stand: 19.8.2019
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