Das Sozialgericht SG Dortmund hat einem Vater auf Kosten von "Hartz IV" eine größere Wohnung zugebilligt, weil seine 11jährige Tochter regelmäßig bei ihm zu Besuch ist.
Der Vater bezog Arbeitslosengeld II. Seine elfjährige Tochter verbringt jedes zweite Wochenende und die Hälfte der Schulferien mit ihm in seiner 40qm großen Wohnung. Er wollte in eine 64 qm große Wohnung umziehen - das Jobcenter war nicht einverstanden.
Anders das Sozialgericht:
Es handele sich bei dem Antragsteller und seiner Tochter um eine temporäre Bedarfsgemeinschaft, für die eine Wohnung von 40qm zu klein ist. Dies gelte umso mehr, als es sich um einen Vater und eine elfjährige Tochter handelt, die ein zumindest kleines eigenes Zimmer benötigt. Die Kaltmiete der neuen Wohnung liege nur geringfügig über dem in Dortmund für eine Person angemessenen Mietzins. Der Mehrbetrag von 13,61 Euro sei angemessen, um eine dem Kindeswohl Rechnung tragende Ausgestaltung des Umgangsrechts zu gewährleisten.
Sozialgericht Dortmund – 28.12.2010 - S 22 AS 5857/10 ER
Das Bundessozialgericht hat dies in einem anderen Fall abgelehnt und Kriterien definiert:
Der Vater beanspruchte eine 70qm-Wohnung, weil die Tochter ihn an jedem zweiten Wochenende und teils in den Schulferien besucht. Das Jobcenter forderte den Vater auf, seine Unterkunftskosten zu senken. Allein stehe ihm nur eine Wohnung mit höchstens 50 Quadratmetern zu. Die Bundessozialrichter meinten, dass das hier konkret tatsächlich genüge.
Allerdings stellten sie Kriterien für die Einzelfallprüfung auf:
BSG (B 14 AS 43/18 R) vom 29.8.2019
VG Berlin: Auch bei insgesamt 4 Kindern nur 2-Raum-Wohnung
Leben Eltern getrennt und üben gemeinsam das Sorgerecht über ihre Kinder aus, können die Kinder in der Regel nur Angehörige des Haushalts eines der beiden Elternteile sein. Das hat das Verwaltungsgericht Berlin entschieden.
Der Kläger ist geschieden und Vater von vier Kindern. Seine älteste Tochter ist inzwischen volljährig, seine jüngste Tochter schwerbehindert. Das Sorgerecht üben die geschiedenen Eheleute gemeinsam aus. Vor dem Familiengericht vereinbarten die Eltern, dass die Kinder ihren Lebensmittelpunkt im Haushalt der Mutter haben, sich aber wöchentlich von freitags 17:00 Uhr bis sonntags 20:00 Uhr beim Kläger aufhalten. Unter Hinweis auf diese Betreuungszeiten beantragte der von öffentlichen Leistungen lebende Kläger für sich und seine Kinder beim Wohnungsamt einen Wohnungsberechtigungsschein (WBS) für eine 3-Raum-Wohnung. Zugesprochen wurde ihm nur ein WBS für eine 2-Raum-Wohnung, weshalb er Klage zum Verwaltungsgericht erhoben hat. Er macht geltend, seine Kinder seien aufgrund seines Umgangsrechts als Angehörige seines Haushalts anzusehen. Außerdem bestünden besondere Raumbedürfnisse wegen der Behinderung seiner Tochter.
Die 8. Kammer des Verwaltungsgerichts hat die Klage abgewiesen. Einen WBS für eine 3-Raum-Wohnung könne der Kläger nicht beanspruchen. Die Kinder seien keine Haushaltsangehörigen des Klägers. Lebten Eltern getrennt, seien minderjährige Kinder im Regelfall dem Haushalt zuzuordnen, in dem sie sich überwiegend aufhielten und ihren Lebensmittelpunkt hätten. Nur in Ausnahmefällen gehörten sie gleichzeitig beiden Haushalten an. Ein solcher Ausnahmefall liege hier aber nicht vor. Dauer und Charakter der wöchentlichen Aufenthalte ließen noch nicht den Schluss auf eine erforderliche Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft zu. Der Kläger empfange seine drei minderjährigen Kinder auf Grundlage der familienrechtlichen Vereinbarung vielmehr nur zu Besuchszwecken. Es sei auch nicht ersichtlich, dass für die volljährige Tochter etwas anderes gelte. Damit sei der Kläger alleiniger Haushaltsangehöriger. Aus diesem Grund könne er an sich nur eine 1-Raum-Wohnung beanspruchen. Die Behörde habe ihm dennoch eine 2-Raum-Wohnung zugesprochen und damit die Besuche seiner Kinder im Rahmen seines Umgangsrechts ausreichend und ermessensfehlerfrei als besondere persönliche Raumbedürfnisse des Klägers berücksichtigt. Weitergehende persönliche Raumbedürfnisse des Klägers oder vermeidbare Härten ließen sich auch im Hinblick auf die Behinderung der jüngsten Tochter des Klägers auf Grundlage seines Vortrags nicht feststellen.
Gegen die Entscheidung kann Antrag auf Zulassung der Berufung beim Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg eingelegt werden.
Urteil der 8. Kammer des VG Berlin vom 1. Februar 2019 (VG 8 K 332.17)
Für regelmäßige tageweise Besuche beim getrennt von der Familie lebenden Vater kann ein Kind anteilig Sozialgeld beanspruchen. Das hat das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (LSG NRW) im Februar 2011 entschieden. Der 2002 geborene Kläger bezieht als Mitglied einer Bedarfsgemeinschaft mit seiner Mutter ebenso Hartz – IV-Leistungen wie sein getrennt von der Familie lebender Vater. Bei ihm sollte sich der Kläger auf Anordnung des Familiengerichts Essen für bestimmte Zeiträume aufhalten. Der Vater des Klägers hatte deshalb beim zuständigen Job Center Essen beantragt, für jeden Tag, den sein Sohn bei ihm verbringt, 1/30 des maßgeblichen Regelsatzes gemäß SGB II zu zahlen. Der Antrag blieb ebenso erfolglos wie die anschließende Klage beim Sozialgericht Duisburg. Das Sozialgericht argumentierte, neben den bereits er brachten Leistungen an Mutter und Sohn bestehe kein Anspruch auf Leistungsgewährung. Ebenso wenig könne der Vater zusätzliche Leistungen geltend machen, da ihm etwa Fahrtkosten nicht entstünden.
Dieser Ansicht sind die Essener Richter nicht gefolgt. Sie begründeten ihre Entscheidung damit, es genüge, dass Kinder mit einer gewissen Regelmäßigkeit länger als einen Tag bei einem Elternteil wohnen, um eine so genannte temporäre Bedarfsgemeinschaft anzunehmen. Dem Kläger steht daher nach Ansicht der Richter Sozialgeld in Höhe von 1/30 des Monatsbetrags für solche Tage zu, für die er nachweisen kann, dass er sich überwiegend – in der Regel länger als zwölf Stunden pro Kalendertag – bei dem umgangsberechtigten Vater aufhält. Er sei für diese Zeiträume hilfebedürftig, weil seine Mutter ihm für die Besuche beim Vater weder Geld noch Essen mitgebe und sein Vater Hartz-IV-Leistungen nur für sich selber beziehe.
Da bislang keine höchstrichterliche Entscheidung zu dieser Problematik vorliegt, hat das Gericht die Revision zugelassen.
Zur Info: „Sozialgeld“ nennt das Sozialgesetzbuch II die Geldleistungen an nicht erwerbsfähige Angehörige, die mit Beziehern von Arbeitslosengeld II in einem Haushalt leben.
(LSG NRW, Urteil vom 20.02.2011 ‑ L 7 AS 119/08, Vorinstanz: SG Duisburg, Urteil vom 15.10.2008 ‑ S 32 (12) AS 72/05).
Quelle/Urheber: Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen
Der Fall: Die Mutter war Hartz-IV-Bezieherin, lebte mit ihrem Kind getrennt von dessen Vater und bekam als Alleinerziehende den Mehrbedarf nach § 23 Absatz 3 SGB II. Sodann traf sie mit dem Vater des Kindes eine Elternvereinbarung, aufgrund der das Kind im wöchentlichen Wechsel zwischen den beiden Haushalten pendelte. Ihr wurde der Alleinerziehenden-Freibetrag gestrichen. Sie klagte dagegen mit dem Antrag, dass ihr der Mehrbedarf zumindest zur Hälfte zustehe. Das Bundessozialgericht gab ihr Recht.
Die Entscheidung:
Das Bundessozialgericht führte zum Zweck des Mehrbedarfs aus:
Alleinerziehende haben wegen der Sorge für ihre Kinder weniger Zeit, preisbewusst einzukaufen und müssen zugleich höhere Aufwendungen zur Kontaktpflege und zur Unterrichtung in Erziehungsfragen
tragen. Alleinerziehende mit noch nicht schulpflichtigen Kindern sind zudem weniger mobil, müssen die nächstgelegen Einkaufsmöglichkeit nutzen und haben ein höheres Informations- und
Kontaktbedürfnis.
Zweck des Mehrbedarfs ist es deshalb, den höheren Aufwand des allein erziehenden Elternteils für die Versorgung und Pflege beziehungsweise Erziehung der Kinder
etwa wegen geringer Beweglichkeit und zusätzlichen Aufwendungen für Kontaktpflege oder Inanspruchnahme von Dienstleistungen Dritter in pauschalierter Form auszugleichen.
Im vorliegenden Fall des wöchentlichen Betreuungswechsels tritt nach Ansicht des Bundessozialgerichts in derjenigen Woche, in
der sich das Kind der klagenden Mutter bei dem Vater aufhält, keine finanzielle oder sonst wie geartete Entlastung in einem Umfang ein, dass die Zuerkennung eines Mehrbedarfs nicht gerechtfertigt
wäre. Während des jeweils eine Woche umfassenden Zeitraums der Betreuung des Kindes durch die Mutter sorgt diese allein für seine Pflege und Erziehung. Ihr entstehen während dieses Zeitraums infolge der Sorge für das Kind die dem pauschalierten Mehrbedarf zugrunde liegenden erhöhten Aufwendungen Eine finanzielle Entlastung tritt insoweit
nicht ein, weil sich die Eltern die Kosten nach der getroffenen Vereinbarung in etwa hälftig teilen. In der Betreuungswoche wirkt sich die fehlende Arbeitsteilung mit einem Partner nach wie vor erheblich aus. Die erhöhten Aufwendungen, zum Beispiel für kostenaufwändigere
Einkäufe und die Kosten der Kinderbetreuung zur Aufrechterhaltung der Außenkontakte, lassen sich in Fällen wie dem vorliegenden, in denen sich das Kind mindestens eine Woche bei dem einen, die andere
Woche bei dem anderen Elternteil aufhält, nicht außerhalb der Betreuungszeit im erforderlichen Umfang kompensieren.
Daher hält es das Bundessozialgericht für geboten, in Fällen der vorliegenden Art den Mehrbedarf zur Hälfte anzuerkennen. Denn es könne nicht außer Acht gelassen
werden, dass die klagende Mutter durch das Wechselmodell während des anderen Zeitraums, in dem der andere Elternteil für die Pflege und Erziehung des Kindes sorgt, keinen erhöhten Aufwendungen ausgesetzt sei.
Das Bundessozialgericht weist daraufhin, dass die vorstehenden Überlegungen nach seiner Ansicht nicht auf Fälle zu übertragen sind, bei denen tatsächlich ein
abweichender Anteil an Betreuungsleistungen praktiziert wird. Ist ein Elternteil in geringerem als hälftigem zeitlichen Umfang für die Pflege und Betreuung des Kindes zuständig, so steht der
Mehrbedarf allein dem anderen Elternteil zu. Die Zuerkennung des hälftigen Mehrbedarfs erscheint dem Bundessozialgericht aufgrund seiner Überlegungen auch nicht
gerechtfertigt, wenn sich die Betreuung in kürzeren als wöchentlichen Intervallen vollzieht.
Die Bedeutung für andere Fälle:
Die Entscheidung hat nicht zwingend für alle Formen von Wechselmodellen Bedeutung. Entschieden wurde nur der Fall, in dem das Kind immer mindestens eine Woche am Stück bei einem lebt. Sind die Intervalle des Wechselns kürzer, lebt das Kind beispielsweise von Montag bis Donnerstagmittag bei der Mutter und von Donnerstagmittag bis Sonntag beim Vater, bekommen die Eltern den Mehrbedarf vielleicht nicht. Voraussetzung ist immer, dass sich die Eltern die Betreuung des Kindes und die Kosten in etwa gleichmäßig teilen. Wenn ein Elternteil weniger als die Hälfte der Zeit für die Pflege und Betreuung des Kindes zuständig ist, steht der Mehrbedarf nach Ansicht des Bundessozialgerichts allein dem anderen Elternteil zu.
Bundessozialgericht - Urteil vom 03.03.2009 - B 4 AS 50/07
Wohnungsberechtigungsschein: Kinder getrennt lebender Eltern sind in der Regel nur einem der beiden Elternhaushalte zuzurechnen
Leben Eltern getrennt und üben gemeinsam das Sorgerecht über ihre Kinder aus, können die Kinder in der Regel nur Angehörige des Haushalts eines der beiden Elternteile sein. Nur in Ausnahmefällen gehören sie gleichzeitig beiden Haushalten an.
Der Fall:
Der Kläger ist geschieden und Vater von vier Kindern. Vor dem Familiengericht vereinbarten die Eltern, dass die Kinder ihren Lebensmittelpunkt im Haushalt der Mutter
haben, sich aber wöchentlich von freitags 17 Uhr bis sonntags 20 Uhr beim Kläger aufhalten.
Unter Hinweis auf diese Betreuungszeiten beantragte der von öffentlichen Leistungen lebende Kläger für sich und seine Kinder beim Wohnungsamt einen Wohnungsberechtigungsschein (WBS) für eine 3-Raum-Wohnung. Zugesprochen wurde ihm nur ein WBS für eine 2-Raum-Wohnung. Hiergegen richtet
sich seine Klage. Er macht geltend, seine Kinder seien aufgrund seines Umgangsrechts als Angehörige seines Haushalts anzusehen. Das VG wies die Klage ab. Die Berufung zum OVG wurde nicht
zugelassen.
Aus den Gründen:
Die Kinder sind keine Haushaltsangehörigen des Klägers. Leben Eltern getrennt, sind minderjährige
Kinder im Regelfall dem Haushalt zuzuordnen, in dem sie sich überwiegend aufhalten und ihren Lebensmittelpunkt haben. Nur in
Ausnahmefällen gehören sie gleichzeitig beiden Haushalten an. Ein solcher Ausnahmefall liegt hier aber nicht vor. Dauer und Charakter der wöchentlichen Aufenthalte lassen noch nicht den Schluss auf eine erforderliche Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft zu. Der Kläger empfängt seine drei
minderjährigen Kinder auf Grundlage der familienrechtlichen Vereinbarung vielmehr nur zu Besuchszwecken. Es ist auch nicht ersichtlich, dass für die volljährige
Tochter etwas anderes gilt.
Damit ist der Kläger alleiniger Haushaltsangehöriger. Aus diesem Grund kann er an sich nur eine 1-Raum-Wohnung beanspruchen. Die Behörde hat ihm dennoch eine
2-Raum-Wohnung zugesprochen und damit die Besuche seiner Kinder im Rahmen seines Umgangsrechts ausreichend und ermessensfehlerfrei als besondere persönliche Raumbedürfnisse des Klägers
berücksichtigt. Weitergehende persönliche Raumbedürfnisse des Klägers oder vermeidbare Härten lassen sich auch im Hinblick auf die Behinderung der jüngsten Tochter des Klägers auf Grundlage
seines Vortrags nicht feststellen.
VG Berlin 1.2.2019, VG 8 K 332.17
Quelle: VG Berlin PM Nr. 10 vom 8.4.2019
|
|
|