BGH 8.6.2016: Der ehebedingte
Erwerbsnachteil des unterhaltsberechtigten Ehegatten ist nicht hälftig auf beide geschiedenen Ehegatten zu verteilen, sondern in voller Höhe zugunsten des Unterhaltsberechtigten zu
berücksichtigen.
Aus den Gründen:
aa) Nach § 1578 b Abs. 1 Satz 1
BGB ist ein Anspruch auf nachehelichen Unterhalt auf den angemessenen Lebensbedarf herabzusetzen, wenn eine an den ehelichen Lebensverhältnissen orientierte Bemessung des Unterhaltsanspruchs auch unter Wahrung der Belange
eines dem Berechtigten zur Pflege oder Erziehung anvertrauten gemeinschaftlichen Kindes unbillig wäre. Die Kriterien für die Billigkeitsabwägung sind § 1578 b Abs. 1 Satz 2 und 3
BGB zu entnehmen. Danach ist neben der Dauer der
Ehe vorrangig zu berücksichtigen, inwieweit durch die Ehe Nachteile im Hinblick auf die Möglichkeit eingetreten sind, für den eigenen Unterhalt zu sorgen.
Solche Nachteile können sich vor allem aus der Dauer der Pflege und Erziehung eines gemeinschaftlichen Kindes und aus der Gestaltung
von Haushaltsführung oder Erwerbstätigkeit während der Ehe ergeben. Ein ehebedingter Nachteil äußert sich in der Regel darin, dass der unterhaltsberechtigte
Ehegatte nachehelich nicht die Einkünfte erzielt, die er ohne Ehe und Kinderbetreuung erzielen würde (st. Rspr. des Senats, vgl. Beschluss vom 14. Mai 2014 - XII ZB 301/12 - FamRZ 2014, 1276 Rn. 27 mwN).
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§ 1578 b BGB beschränkt sich allerdings nicht auf die Kompensation
ehebedingter Nachteile, sondern berücksichtigt auch eine darüber hinausgehende nacheheliche Solidarität. Auch wenn keine
ehebedingten Nachteile feststellbar sind, ist eine Herabsetzung oder Befristung des nachehelichen Unterhalts nur bei Unbilligkeit eines fortdauernden
Unterhaltsanspruchs nach den ehelichen Lebensverhältnissen vorzunehmen. Bei der insoweit gebotenen umfassenden Billigkeitsabwägung ist das im Einzelfall gebotene Maß der nachehelichen Solidarität
festzulegen. Wesentliche Aspekte hierbei sind neben der Dauer der Ehe insbesondere die in der Ehe gelebte Rollenverteilung wie
auch die vom Unterhaltsberechtigten während der Ehe erbrachte Lebensleistung. Bei der Beurteilung der Unbilligkeit einer fortwährenden Unterhaltszahlung sind
ferner die wirtschaftlichen Verhältnisse der Parteien von Bedeutung, so dass der Tatrichter in seine Abwägung auch
einzubeziehen hat, wie dringend der Unterhaltsberechtigte neben seinen eigenen Einkünften auf den Unterhalt angewiesen ist und
in welchem Maße der Unterhaltspflichtige - unter Berücksichtigung weiterer Unterhaltspflichten - durch diese Unterhaltszahlungen belastet wird. In diesem
Zusammenhang kann auch eine lange Dauer von Trennungsunterhaltszahlungen bedeutsam sein (Senatsbeschlüsse vom 26. Februar 2014 - XII ZB 235/12 - FamRZ 2014, 823 Rn. 21 f. mwN und vom 19. Juni 2013 - XII ZB 309/11 - FamRZ 2013, 1291 Rn. 23 f. mwN).
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Als Rechtsfolge sieht § 1578 b Abs. 1 Satz 1 BGB die Herabsetzung bis auf den angemessenen Lebensbedarf vor. Dieser Maßstab bildet regelmäßig die Grenze für die Herabsetzung des nachehelichen Unterhalts und bemisst sich nach dem Einkommen, das der unterhaltsberechtigte Ehegatte ohne Ehe und
Kindererziehung aus eigenen Einkünften zur Verfügung hätte (st. Rspr., vgl. etwa Senatsbeschluss vom 26. März 2014 - XII ZB 214/13 - FamRZ 2014, 1007 Rn. 18 und Senatsurteil vom 26. Juni 2013 - XII ZR
133/11 - FamRZ 2013, 1366 Rn. 75 mwN). Aus dem Begriff der Angemessenheit folgt aber zugleich, dass der nach § 1578 b Abs. 1 BGB herabgesetzte
Unterhaltsbedarf jedenfalls das Existenzminimum des Unterhaltsberechtigten erreichen muss (Senatsurteil vom 16. Januar 2013 - XII ZR 39/10 - FamRZ 2013, 534 Rn. 26 mwN).
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Die Abwägung aller für die Billigkeitsentscheidung nach § 1578 b
BGB in Betracht kommenden Gesichtspunkte ist Aufgabe des Tatrichters. Sie ist
vom Rechtsbeschwerdegericht aber daraufhin zu überprüfen, ob der Tatrichter die im Rahmen der Billigkeitsprüfung maßgebenden Rechtsbegriffe verkannt oder für die Einordnung unter diese Begriffe
wesentliche Umstände unberücksichtigt gelassen hat. Der rechtlichen Überprüfung unterliegt insbesondere, ob der Tatrichter sich mit dem Verfahrensstoff und den Beweisergebnissen umfassend und
widerspruchsfrei auseinandergesetzt hat, seine Würdigung also vollständig und rechtlich möglich ist und nicht gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt (Senatsbeschluss vom 26. Februar 2014 -
XII ZB 235/12 - FamRZ 2014, 823 Rn. 15 mwN).
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(1) Das Oberlandesgericht hat den ehebedingten Nachteil der Antragsgegnerin zutreffend ermittelt. Dieser ergibt sich aus der Differenz
zwischen dem angemessenen Lebensbedarf des Unterhaltsberechtigten im Sinne des § 1578
b Abs. 1 Satz 1 BGB und dem Einkommen, das der
Unterhaltsberechtigte tatsächlich erzielt bzw. gemäß §§ 1574 ,
1577 BGB erzielen könnte (vgl. Senatsbeschluss vom 26. März 2014 -
XII ZB 214/13 - FamRZ 2014, 1007 Rn. 18 mwN). Ohne Erfolg macht der Antragsteller geltend,
dieser Nachteil müsse hälftig auf beide geschiedenen Ehegatten verteilt und daher betragsmäßig halbiert werden.
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(aa) Bei § 1578 b BGB handelt es sich um eine unterhaltsbegrenzende Norm. Sie setzt das Bestehen eines Anspruchs auf
nachehelichen Unterhalt voraus und ermöglicht neben einer Befristung dessen Herabsetzung, indem die Bedarfsbemessung von den ehelichen Lebensverhältnissen gelöst und stattdessen auf den angemessenen
Lebensbedarf abgestellt wird. An der Rechtsnatur des Unterhaltsanspruchs selbst ändert dies nichts (vgl. auch Borth FamRZ 2013, 1356). Der vollständige ehebedingte Nachteil entspricht dem - durch die
eigenen Einkünfte des Unterhaltsberechtigten nicht gedeckten - Teil des Bedarfs, der nach dem Willen des Gesetzgebers auch dann durch Unterhaltszahlungen gedeckt werden soll, wenn sich die
wirtschaftliche Stellung des Unterhaltsberechtigten nicht mehr nach den ehelichen Lebensverhältnissen, sondern nach der eigenen Lebensstellung des Unterhaltsberechtigten bestimmt. Dementsprechend
sieht die gesetzliche Bestimmung des § 1578 b Abs. 1 Satz 1 BGB für die Bedarfsbemessung eine Berücksichtigung ehebedingter Nachteile des Unterhaltspflichtigen nicht vor, sondern stellt allein darauf ab, wie der
Unterhaltsberechtigte ohne Ehe und Kindererziehung stünde, so dass dessen ehebedingte Erwerbsnachteile den Umfang der Herabsetzung begrenzen (vgl. BT-Drucks. 16/1830 S. 18). Die von der
Rechtsbeschwerde vertretene Rechtsauffassung würde hingegen dazu führen, dass dem Unterhaltsberechtigten entgegen dem gesetzgeberischen Willen aus eigenem Einkommen und nachehelichem Unterhalt gerade
nicht die finanziellen Mittel zur Verfügung stünden, um seinen eigenen angemessenen Lebensbedarf zu decken.
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(bb) Die eine Halbierung des ehebedingten Nachteils fordernde Meinung verkennt zudem, dass es sich bei der Pflicht zur Zahlung nachehelichen Unterhalts gerade nicht um eine durch die eheliche
Rollenverteilung bedingte Einbuße in der Möglichkeit handelt, Einkünfte zu erzielen, sondern um eine von Gesetzes wegen an die Scheidung geknüpfte Rechtsfolge (vgl. auch Senatsurteil vom 23. November
2011 - XII ZR 47/10 - FamRZ 2012, 197 Rn. 28), die nicht die Einkunftserzielung, sondern die Verteilung des Einkommens betrifft. Der
Gedanke der Nachteilshalbierung stützt sich auf den Zirkelschluss, bei der Ermittlung des Unterhaltsanspruchs eben diesen Anspruch als Bemessungsfaktor zu berücksichtigen. Darüber hinaus würde dieser
Ansatz ohnedies immer dann versagen, wenn der Unterhaltsberechtigte als Folge der in der Ehe praktizierten Rollenverteilung nach der Scheidung nicht mehr in der Lage ist, ein sein Existenzminimum
sicherndes Einkommen zu erzielen. Umgekehrt kann die Berücksichtigung eines ehebedingten Erwerbsnachteils des Unterhaltsberechtigten nie dazu führen, dass diesem ein höherer Unterhaltsanspruch als
nach den ehelichen Lebensverhältnissen zuzuerkennen ist (so aber Kieninger FamRZ 2013, 1355), weil § 1578 b Abs. 1
BGB ausschließlich eine Herabsetzung ermöglicht (vgl. Wendl/Wönne Das
Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis 9. Aufl. § 4 Rn. 1020).
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(cc) Die vollständige Berücksichtigung des ehebedingten Nachteils steht nicht im Widerspruch zum Zugewinnausgleich. Denn bei diesem geht es um die Verteilung von ehezeitlich erworbenem Vermögen,
während sich § 1578 b BGB mit der Abdeckung eines nachehelichen Unterhaltsbedarfs befasst. Nichts anderes folgt auch aus
der Senatsrechtsprechung, wonach ehebedingte Nachteile im Sinne von § 1578 b
Abs. 1 Satz 2 BGB regelmäßig nicht mit den durch die Unterbrechung der Erwerbstätigkeit während der Ehe
verursachten geringeren Rentenanwartschaften begründet werden können, wenn für diese Zeit ein Versorgungsausgleich stattgefunden hat, und Nachteile in der Versorgungsbilanz dann in gleichem Umfang
von beiden Ehegatten zu tragen und somit als vollständig ausgeglichen anzusehen sind (Senatsbeschluss vom 26. Februar 2014 - XII ZB 235/12 - FamRZ 2014, 823 Rn. 17 mwN). Denn die Regelungen zum Versorgungsausgleich stellen
insoweit das speziellere Ausgleichssystem dar. Mit ihnen wird erreicht, dass das ehezeitlich erworbene Vorsorgevermögen grundsätzlich hälftig unter den Ehegatten aufgeteilt wird und dadurch
beiderseitige Alterseinkünfte gesichert werden, die die ehezeitliche Vorsorgelage und damit insoweit die ehelichen Lebensverhältnisse abbilden. Mehr als einen Unterhalt nach den ehelichen
Lebensverhältnissen gewährt das Gesetz dem Unterhaltsberechtigten aber ohnedies nicht.
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(dd) Hinzu kommt, dass § 1578 b BGB nicht nur die Herabsetzung, sondern in seinem Absatz 2 auch die
zeitliche Begrenzung sowie in Absatz 3 eine Kombination aus Herabsetzung und zeitlicher Begrenzung ermöglicht. Der Tatrichter kann bei der im Einzelfall zu
treffenden Billigkeitsentscheidung, in die auch ehebedingte Erwerbsnachteile des Unterhaltspflichtigen einfließen können, daher im Wege einer teilweisen zeitlichen Begrenzung auch zu dem Ergebnis
gelangen, dass ab einem bestimmten Zeitpunkt nur noch ein Unterhalt zu zahlen ist, der den angemessenen Lebensbedarf des Unterhaltsberechtigten nicht vollständig
abdeckt (vgl. etwa Botur in Büte/Poppen/Menne Unterhaltsrecht 3. Aufl. § 1578
b BGB Rn. 29; vgl. auch BT-Drucks. 16/1830 S. 18).
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(2) Aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden ist auch, dass das Oberlandesgericht der Antragsgegnerin keine aus ihrem Geldvermögen erzielbaren Zinseinkünfte auf den
nach dem Maßstab des Nachteilsausgleichs bemessenen Unterhaltsanspruch angerechnet hat. Der Antragsteller macht bereits nicht geltend, dass es sich bei diesem
Vermögen bzw. den hieraus erzielbaren Zinseinkünften um einen aus der Ehe herrührenden Vorteil handeln würde. Nur wenn es sich aber um (fiktive) Einkünfte
handelte, die der Antragsgegnerin ohne die Ehe nicht zur Verfügung stehen würden, könnten diese ggf. als ein den ehebedingten Nachteil teilweise kompensierender Vorteil anzusehen sein; dies hängt von
der Beurteilung der Frage ab, ob die Antragsgegnerin auch allein eine private Vermögensbildung in dieser Höhe hätte betreiben können (vgl. Senatsurteil vom 31. Oktober 2012 - XII ZR 129/10 - FamRZ 2013, 195 Rn. 55 ff.; vgl. auch Senatsurteil vom 11. August 2010 - XII ZR 102/09 - FamRZ 2010, 1637 Rn.
33). Dafür, dass dies nicht der Fall ist, ist nichts ersichtlich.
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Unabhängig davon ist die tatrichterliche Beurteilung, dass die Antragsgegnerin im derzeitigen Zinsumfeld keine relevanten Zinseinkünfte erzielen könne, im Rahmen
des Rechtsbeschwerdeverfahrens hinzunehmen. Selbst unterstellt, die Möglichkeit der Vermögensnutzung stellte einen ehebedingten Vorteil dar, müsste die Antragsgegnerin sich nur auf eine sichere
Geldanlage verweisen lassen (vgl. Wendl/Dose Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis 9. Aufl. § 1 Rn. 637 mwN). Die Würdigung des Oberlandesgerichts, aus einer solchen sei
bei dem allenfalls in Rede stehenden Kapitalbetrag von rund 67.000 € derzeit kein unterhaltsrelevantes Zinseinkommen zu erzielen, verstößt weder gegen Denk- noch
gegen Erfahrungssätze. Die Rechtsbeschwerde beschränkt sich auf die Behauptung des Gegenteils und setzt damit ihre Würdigung an die Stelle derjenigen durch das Oberlandesgericht. Dies ist ihr im
Rechtsbeschwerdeverfahren verwehrt.
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(3) Dass das Oberlandesgericht die Antragsgegnerin im Rahmen der Bedürftigkeitsprüfung nicht nach § 1577 Abs. 3 BGB auf die Verwertung des aus dem Verkauf des gemeinsamen Hausanwesens erlangten Vermögensstamms
verwiesen hat, wird weder von der Rechtsbeschwerde gerügt noch lässt es Rechtsfehler erkennen (vgl. dazu Senatsurteil vom 31. Oktober 2012 - XII ZR 129/10 - FamRZ 2013, 195 Rn. 54).
BGH, Beschluss vom 08.06.2016 - Aktenzeichen XII ZB 84/15
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