Aachener Kanzlei für Familienrecht
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Sorgerecht nach der Trennung

 

Wenn Sie in Aachen psychosoziale Beratung in ihrer Trennungssituation benötigen, z.B. zu Umgangs- und Sorgerechtsfragen, können Sie sich an eine der freien Beratungsstellen wenden. Bevor eine Streitigkeit zwischen Eltern vom Richter entschieden wird, sollte idealerweise eine gemeinsame Beratung bei einer dieser Stellen stattgefunden haben.

 

Den sogenannten "Beratungsführer" für Aachen mit allen beratenden Professionen können Sie hier als PDF ansehen oder ausdrucken. Weitere Informationen finden sie auf der Seite www.trennung-scheidung-aachen.de

Beratungsführer Städteregion Aachen
Wo Sie bei Trennung - Scheidung - Mediation - Erziehungsfragen Rat und Hilfe finden.
Zusammengestellt vom Arbeitskreis Trennung - Scheidung, Neuauflage 2017
Beratungsfuehrer_Trennung_Scheidung_2017[...]
PDF-Dokument [1.8 MB]

Diese Website wird ab 2020 nicht mehr gepflegt und zieht allmählich auf die neue Seite der Kanzlei um. Besuchen Sie mich also auch dort auf www.familienrecht-aachen.de - mit einem Klick aufs Bild.

 

Es gibt eine sehr gute 72seitige Broschüre "Wegweiser für den Umgang nach Trennung und Scheidung". Sie enthält neben vielen rechtlichen (Achtung: Stand 2005) und praktischen Informationen auch ein Muster für einen Elternvertrag. Beim Bundesfamilienministerium können Sie sich die Datei noch downloaden oder hier:

Wegweiser Familienministerium.pdf
PDF-Dokument [1.4 MB]

Wenn Sie sich mit der Frage nach dem Kindeswohl bei Trennung / Scheidung befassen möchten, habe ich Ihnen auf meiner Unterseite dazu mehr Informationen zusammengestellt. Dort erfahren Sie auch, wann Ihr Kind in einem Sorgerechtsprozeß vom Richter angehört wird und warum.

Was Sie über das Sorgerecht bei Trennung / Scheidung wissen müssen

Haben wir nach Trennung/Scheidung automatisch gemeinsame Sorge für die Kinder?

Die Antwort heißt schlicht ja, wenn Sie auch bisher die gemeinsame Sorge hatten (also eheliches Kind oder Sorgeerklärung). Die Trennung ändert also zunächst nichts. Seit Juli 1998 ist es Gesetz, daß Trennung und Scheidung die Frage des Sorgerechts nicht mehr automatisch berühren. Stellt keiner der Elternteile einen Antrag auf Alleinsorge, bleibt es automatisch bei der gemeinsamen Sorge.

 

 

Müssen wir alles gemeinsam entscheiden und unterschreiben?

Müssen wir gemeinsam Sorgeberechtigten alles gemeinsam entscheiden und unterschreiben?

Nein. Der Gesetzgeber hat gesehen, daß dies nicht praktikabel wäre. Es gibt eine "Alleinentscheidungsbefugnis" gemäß § 1687 BGB. Die beinhaltet, daß der Elternteil, bei dem das Kind lebt (im Einverständnis mit dem anderen!), alles allein entscheiden kann - außer "Angelegenheiten von erheblicher Bedeutung". Dieser Rechtsbegriff ist unbestimmt und wird durch die Rechtsprechung konkretisiert.

Zwei Beispiele: Die Entscheidung, ob das Kind mittwochs in der letzten Unterrichtsstunde an einer Niederländisch-Arbeitsgemeinschaft teilnehmen darf, gilt als alltäglich. Die Entscheidung, ob nach der 4. Klasse der Wechsel auf Gesamtschule oder Realschule ansteht, gilt als erheblich. Ob Ihre Angelegenheit alltäglich oder erheblich ist, läßt sich nur im Einzelfall auslegen.

Dies bedeutet, daß der Elternteil, bei dem das Kind überwiegend lebt, sich über die praktisch ganz im Vordergrund stehenden Fragen des Alltags nicht mit dem anderen Elternteil verständigen muß. Umgekehrt hat der andere Elternteil, bei dem sich das Kind etwa am Wochenende oder in den Ferien aufhält, eine auf Fragen der tatsächlichen Betreuung beschränkte Alleinentschei­dungsbefugnis während dieser Zeit. Achtung: Noch völlig ungeklärt ist, wie die "Allentscheidungsbefugnis" bei den sogenannten "Pendelkindern" oder "2-Familien-Kindern" wirkt, das Kind also bei beiden Elternteilen einen Lebensmittelpunkt hat.

Gibt es überhaupt noch das alleinige Sorgerecht?

Die nicht verheirateten Mütter haben für ihre Kinder alleinige Sorge, wenn sie nicht eine Sorgeerklärung zugunsten des Vaters abgegeben haben oder (seit 2013) der nichteheliche Vater sich die Sorge gerichtlich erstritten hat. Alleinsorge ist zur Ausnahme geworden für die Kinder miteinander verheirateter Eltern, die sich getrennt haben.

 

Wenn der andere Elternteil der Alleinsorge zustimmt (und das über-14-jährige Kind nicht widerspricht), ist Alleinsorge recht unproblematisch. Auch dann muss aber das Familiengericht mitwirken, allein beim Jugendamt oder Notar wird man sein Sorgerecht nicht quitt.

 

Aber was ist, wenn der andere Elternteil weiter für die gemeinsame Sorge eintritt oder selbst einen Antrag auf Alleinsorge stellt? In der Praxis ist die gemeinsame Sorge seit 1998 der Regelfall. Es gibt Familienrichter, die diese den Parteien durchaus "aufzwingen" - andere lassen sich aber von offensichtlichen Kommunikationsstörungen (die im Gerichtssaal laut und deutlich werden) beeindrucken und halten die Auflösung der gemeinsamen Sorge für das richtige Mittel, Frieden herzustellen.

Welcher Auffassung Ihr Familienrichter in solchen Fällen der Kommunikationsstörung zuneigt, kann Ihnen Ihr Anwalt vor Ort vielleicht sagen. Wird ein Antrag auf Alleinsorge gegen den Willen des Anderen gestellt, so muß dieser jedenfalls gut begründet werden. Das Jugendamt wird automatisch eingeschaltet und macht sich anhand von Gesprächen mit beiden Eltern ein eigenes Bild. Je nach Alter des Kindes wird auch dieses vom Jugendamt und vom Gericht angehört.

 

Das OLG Hamm hat es trotz bestehender Kommunikationsprobleme zwischen den geschiedenen Eltern bei der gemeinsamen elterlichen Sorge belassen.

 

Die Kinder sind 9 und 11 und leben bei der Mutter. Die hat bereits das alleinige Aufenthaltsbestimmungsrecht und möchte die komplette Alleinsorge. Sie hat dies mit zunehmenden Kommunikationsproblemen zwischen ihr und dem Kindesvater begründet, unter denen auch die Kinder zu leiden hätten. In erster Instanz, beim Familiengericht Marl, hatte sie recht bekommen. Das OLG Hamm hat es jedoch abgelehnt, die gemeinsame elterliche Sorge aufzuheben und der Kindesmutter die Alleinsorge zu übertragen.

Nach Auffassung des Oberlandesgerichts rechtfertigen die im Jahre 2012 aufgetretenen Kommunikationsprobleme zwischen den Eheleuten keine Auflösung der gemeinsamen elterlichen Sorge. Maßstab und Ziel sei insoweit allein das Kindeswohl und nicht der Ausgleich persönlicher Defizite zwischen den Eltern. Unter Würdigung aller Gesichtspunkte des zu entscheidenden Falls sei die gemeinsame elterliche Sorge beizubehalten. Ihre Ausübung habe offenbar bis Mitte des Jahres 2012 funktioniert. Auch wenn die Kindesmutter persönlich eine Kommunikation mit dem Vater verweigere, rechtfertige dies nicht seinen Ausschluss von der elterlichen Sorge. Der Kindesmutter sei es zuzumuten, weiterhin im Interesse des Kindeswohls mit dem Vater zu kooperieren. Dem Kindesvater sei es zuzumuten, seine Positionen gegenüber der Kindesmutter in maßvoller Weise geltend zu machen.

OLG Hamm, Beschluss vom 23.7.2013, 2 UF 39/13

Ziehen die Kinder automatisch bei Trennung zur Mutter?

Wer nur halbtags arbeitet, bekommt bei Trennung automatisch die Kinder?
Das ist wahrscheinlich statistisch die Wahrheit und trifft statistisch auch häufiger für Mütter zu als für Väter - aber es gibt eben keinen solchen Automatismus.
Aus der gegenteiligen Begründung des OLG Saarland (6 UF 106/10):
„Bei der allein am Kindeswohl auszurichtenden Frage, welchem der Elternteile die elterliche Sorge oder - wie hier - ein Teilbereich dieser zu übertragen ist, sind die Erziehungseignung der Eltern - einschließlich ihrer Bindungstoleranz -, die Bindungen des Kindes - insbesondere an seine Eltern und Geschwister -, die Prinzipien der Förderung und der Kontinuität sowie der Kindeswille als gewichtige Gesichtspunkte zu berücksichtigen. Außer diesen Aspekten sind je nach den Begleitumständen des Falles weitere Gesichtspunkte wie Erziehungsbereitschaft, häusliche Verhältnisse, soziales Umfeld und Grundsätze wie der einzubeziehen, dass Geschwister nicht ohne besonderen Grund voneinander getrennt werden sollen. Nach dem Förderungsprinzip ist die elterliche Sorge dem Elternteil zu übertragen, der am Besten zur Erziehung und Betreuung des Kindes geeignet erscheint und von dem es voraussichtlich die meiste Unterstützung für den Aufbau seiner Persönlichkeit erwarten kann. Dabei kann berücksichtigt werden, dass ein Elternteil weitergehende Möglichkeiten zur Betreuung des Kindes hat; denn je jünger ein Kind ist, umso wichtiger ist es für seine Entwicklung, dass es sich in der Obhut eines Menschen weiß, der Zeit hat, auf seine Fragen, Wünsche und Nöte einzugehen. Ein Primat des beruflich weniger eingespannten Elternteils ist damit allerdings nicht verbunden."

Der berufstätige Vater erhielt das Sorgerecht, auch wenn er nachweislich (etwas) weniger Zeit zu Hause ist als die Mutter.

Was ist der Vorteil von "gemeinsamer Sorge"?

Gemeinsame Sorge kann von den Eltern als lästig empfunden werden, wenn die Paar-Beziehung so zerrüttet ist, daß jeder Kontakt vermieden werden soll. Für das Kind aber kann hierin eine Chance liegen, den Kontakt zum Besuchs-Elternteil, der sonst kein Sorgerecht hätte, nicht zu verlieren. Nach älteren rechtstatsächlichen Untersuchungen aus der Zeit, in der die Alleinsorge der Mutter die Regel war (vor 1998), hatte mehr als die Hälfte der geschiedenen Väter ein Jahr nach der Scheidung keinerlei Kontakt mehr zu dem Kind. Der Verlust der elterlichen Sorge wirkt bei den betroffenen Vätern vielfach demotivierend; dies hat zur Folge, daß sie ihr Umgangsrecht nicht mehr wahrnehmen. Aus diesen Gründen ist es grundsätzlich erstrebenswert, wenn Eltern auch nach Trennung und Scheidung die elterliche Sorge gemeinsam wahrnehmen.

§ 1687 BGB: Alleinentscheidungsbefugnis in Alltagsangelegenheiten

Kann ein Elternteil (bei gemeinsamer Sorge) ohne das Einverständnis des anderen Elternteils das gemeinsame Kind an einer anderen Schule anmelden?

 

Können ja - dürfen nein, (weil die meisten Schulleiter nicht danach fragen, was der andere Sorgeberechtigte dazu sagt).

 

§ 1687 BGB gibt dem Elternteil, bei dem das Kind lebt, eine Alleinentscheidungsbefugnis in Alltagsangelegenheiten.

 

Was ist also eine „Alltagsangelegenheit“? Alles, was den weiteren Werdegang des Kindes nicht unumkehrbar beeinflusst und keine Auswirkungen auf das Leben des Kindes während der Umgangszeiten mit dem Anderen hat.

 

Dazu gehört z.B. die Frage, ob das Kind in der Schule die Basketball-AG mitmacht (außer: die läge genau am Mittwochnachmittag, an dem das Kind Umgang mit dem Vater hat).

Umstritten als Alltagsangelegenheit ist schon die Frage, ob das Kind als 2. Fremdsprache Latein oder Spanisch lernt. Da kann man sich Pro und Contra vorstellen.

Ganz eindeutig ist die Wahl der weiterführenden Schule oder gar ein Schulwechsel keine Alltagsangelegenheit, weil von großer Bedeutung für den weiteren Lebensweg.

Angelegenheiten von "erheblicher Bedeutung"

Wer hilft uns dabei, uns über "Angelegenheiten von erheblicher Bedeutung" zu einigen?

Das Jugendamt muß helfen, es gibt eine Beratungspflicht. Allerdings kann an sogenannte freie Beratungsstellen delegiert werden. Bei jedem Scheidungsantrag, bei dem gemeinschaftliche minderjährige Kinder von der Scheidung betroffen sein werden, erhält der zuständige Mitarbeiter beim Jugendamt vom Gericht eine Nachricht. Die Jugendämter sind sodann verpflichtet, die Eltern über das Angebot der Trennungs- und Scheidungsberatung zu informieren. Aber auch schon vor dem Scheidungsantrag können Sie Kontakt zum Jugendamt aufnehmen und um ein Beratungsgespräch mit beiden Eltern bitten.

Aachener Beratungsstellen finden Sie auf der Homepage des Arbeitskreises Trennung/Scheidung.

 

Eine Form der Hilfe zur Einigung ist Mediation, über die Sie an anderer Stelle auf meiner Homepage mehr erfahren.

 

Können sich die Eltern in einer "erheblichen Angelegenheit" letztlich nicht einigen, kann für diese Einzelfrage das Gericht angerufen werden - oder dies als Anlaß eines Antrags auf Alleinsorge genommen werden.

 

Wird das Kind im Sorgerechtsverfahren immer angehört?

Informationen über die Anhörung finden Sie auf meiner Unterseite Kindeswohl und Kindeswille.

Wenn zwei sich streiten ....

Das OLG Brandenburg entwickelt sich zum Vorreiter eines strengen Umgangs mit Eltern, die ihr Kind in Loyalitätskonflikte stürzen. In der Familiensache 13 WF 78/10 stritten sich beide so sehr, dass für beide der Schuss nach hinten losging:

Beiden wurde das Sorgerecht (Aufenthaltsbestimmungsrecht, Recht der Gesundheitssorge, Recht, Anträge auf Hilfe zur Erziehung zu stellen und das Recht zur Schulwahl) entzogen.

Der Sohn konnte dennoch beim Vater wohnen bleiben, weil er dies wollte.

Entscheidet der Scheidungsrichter automatisch über das Sorgerecht?

Nein. Der Scheidungsrichter entscheidet über die Scheidung. Sonst nichts - außer, es werden Anträge gestellt. Wenn man also will, dass zusammen mit der Scheidung über die elterliche Sorge entschieden wird, muss man einen eigenen Antrag stellen. In der Praxis kann die Sorgerechtsregelung aber nicht bis zur Scheidung warten - dann wird ein eigenständiges Verfahren mit eigenem Aktenzeichen (und Kosten) eingeleitet, wenn die Eltern sich nicht einigen konnten. Können Eltern sich einigen (egal ob mündlich oder schriftlich, ob mit oder ohne Jugendamt), brauchen sie den Richter gar nicht. Der Staat mischt sich also nur bei Trennungs-Familien ein, die darum bitten.

Beispiel: Aufhebung gemeinsamer Sorge bei Uneinigkeit über Schulwahl

Beispiel für eine „Angelegenheit von besonderer Bedeutung" ist die Umschulung eines neunjährigen Grundschulkindes wegen Umzuges der Mutter. Die gemeinsam sorgeberechtigten Eltern hatten sich getrennt, die Mutter war mit den gemeinsamen Kindern in einen anderen Ort gezogen und hatte dort das jüngste Kind in der Grundschule vor Ort angemeldet.
Hiermit war der Vater nicht einverstanden. Er bot an, das Kind jeden Tag morgens bei der Mutter abzuholen, mit dem Auto zu der bisher besuchten Grundschule zu fahren und auch wieder nach Schulschluss zurückzubringen. Die Mutter wandte sich daraufhin an das Familiengericht und beantragte, ihr im Eilverfahren die Alleinentscheidungsbefugnis für die Schulwahl allein zu übertragen. Weder vom dem Amtsgericht noch vor dem Oberlandesgericht hatte der Vater Erfolg.
Aus den Gründen:
Maßstab für die Entscheidung, welchem der beiden Elternteile die alleinige Entscheidungsbefugnis für die Frage des Schulbesuchs übertragen wird, ist das Wohl des Kindes. Die Schule am Wohnort der Mutter ist im Rahmen eines zehnminütigen Fußwegs zu erreichen. Für das Kind entfallen aufwendige Fahrten, die bei Beibehaltung des bisherigen Schulorts anfallen würden. Im Hinblick auf die weitere Schullaufbahn des Kindes, die durch eine steigende Stundenanzahl und eine Abnahme der Freizeit gekennzeichnet ist, ist es sinnvoll, eine Schule für das Kind zu wählen, bei der es geringere Fahrtzeiten hat. Beim Anfall von Freistunden kann das Kind kurzfristig nach Hause gehen, so dass eine größere Flexibilität besteht.
Daneben bestehen Zweifel, ob der Vater in Zukunft langfristig in der Lage sein würde, das Kind mit dem Auto an seinen bisherigen Schulort zu bringen. Zudem gibt es am Wohnort der Mutter eine größere Auswahl an weiterführenden Schulen, als am bisherigen Schulort, so dass für die künftige Schullaufbahn des Kindes am Wohnort bessere Möglichkeiten bestehen. Der teilweise Verlust des bisherigen schulischen und damit auch sozialen Umfelds wiegt nicht so schwer, dass aus Gründen des Kindeswohls ein weiterer Besuch der alten Schule notwendig ist.
Anmerkung:
Dabei spielte eine Rolle, dass die neue Schule das Kind trotz fehlender Einwilligung des sorgeberechtigten Vaters bereits beschulte und das Kind sich zum Zeitpunkt der Entscheidung seit vier Monaten dort eingelebt hatte.
OLG Schleswig 7.12.2010, 10 UF 186/10

Beispiel: Sorgerecht und sexuelle Neigung

Die sexuelle Neigung eines Elternteiles ist für das Sorgerecht nicht zwingend maßgebend.

Die Vorliebe eines Elternteils z.B. für sado-masochistische Sexualpraktiken steht einem Sorgerecht nicht entgegen. Solange die sexuelle Veranlagung keine negativen Auswirkungen auf den Nachwuchs hat, ist sie reine Privatsache. Das hat das OLG Hamm beschlossen (Beschluss vom 01.02.2006 – 10 UF 147/04).

Der Fall: Ein getrennt lebendes Ehepaar streitet um die vierjährigen Zwillinge, jeder will den Anderen wegen Erziehungsunfähigkeit vom Sorgerecht ausschließen. Der Mann begründete dies mit den sexuellen Vorlieben der Kindesmutter für Sado-Masomachismus. Sie habe ständig wechselnde Männerkontakte sowie perverse sexuelle Neigungen.

Dies ergebe sich aus  Fotos, die in seinem Besitz seien. Es bestünde die Gefahr, dass die Kinder in einer sexualisierten Umgebung aufwüchsen. Die perversen Neigungen der Kindsmutter beeinträchtigten das Schamgefühl der Zwillinge und sexualisierten sie unangemessen. Seine Frau sei daher in ihrer Erziehungsfähigkeit eingeschränkt, und das Sorgerecht müsse allein ihm zugesprochen werden.

Die Entscheidung: Das OLG Hamm holte ein familienpsychologisches Gutachten ein. Es kam wie der Gutachter zu der Erkenntnis: Die sexuelle Ausrichtung eines Elternteils ist grundsätzlich seine Privatsache, es sei denn, sie hat negative Auswirkungen auf das Kind. Die sexuelle Veranlagung eines Elternteils ist für sich alleine genommen keine Disqualifikation als Sorgerechtsinhaber. Beurteilungen von Lebenswandel und Moral sind ebenfalls immer nur in ihren Auswirkungen auf das Kind zu beurteilen, was je nach Altersstufe des Kindes unterschiedlich sein kann. Auswirkungen auf das Kindeswohl hat immer nur konkretes Verhalten eines Elternteiles.

Dafür müsste sich der Lebenswandel des Erziehungsberechtigten vielmehr konkret auf das Kindeswohl auswirken. Doch das habe man im vorliegenden Fall nicht feststellen können, so die Richter. Denn die Frau habe ihr Sexualleben vom Lebensraum ihrer Kinder klar getrennt. Zu diesem Ergebnis sei das Jugendamt gekommen, das wiederholt unangemeldete Hausbesuche bei der Mutter und ihrem neuen Freund unternommen habe. Dabei habe die Behörde keinerlei Hinweise auf eine „sexualisierte Umgebung“ finden können. Die Kindeseltern müssten sich trotz der bestehenden Konflikte auch in Zukunft das Sorgerecht für die Zwillinge teilen, so das Gericht.

Beispiel: Religionszugehörigkeit

Der Fall:

Vater ist Moslem, Mutter evangelisch. Der knapp 3jährige Junge lebt seit der Trennung bei der Mutter. Sie haben das gemeinsame Sorgerecht. Die Mutter hat ursprünglich die elterliche Sorge für das Kind begehrt, weil die Eltern über dessen religiöse und kulturelle Entwicklung uneinig seien. Das Kind solle im christlichen Glauben erzogen und getauft werden und in der Schule am evangelischen Religionsunterricht teilnehmen. Das Kind werde während des Umgangs mit dem Vater von diesem gegen den christlichen Glauben eingestellt und zugunsten des muslimischen Glaubens beeinflusst.

 

Vor dem Amtsgericht bekam sie recht, das OLG Karlsruhe hob dies wieder auf. Es sei nicht geboten, ein knapp dreijähriges Kind, dessen getrennt lebende, jedoch gemeinsam sorgeberechtigte Eltern unterschiedlichen Religionsgemeinschaften angehören, bereits jetzt endgültig in eine Religionsgemeinschaft zu integrieren. Ein so kleines Kind sei noch nicht in der Lage, Fragen des religiösen Bekenntnisses sinnvoll zu verstehen, sondern ahme lediglich das ihm von seinen Eltern aufgezeigte Verhalten nach, ohne damit etwas Sinnhaftes verknüpfen zu können. Auch wenn dem Kind die unterschiedlichen religiösen Handlungen seiner Eltern bewusst sein sollten, kann es daraus keine Rückschlüsse ziehen und die einzelnen Religionen nicht bewerten. Deswegen sei eine Entscheidung über sein religiöses Bekenntnis aus Gründen seiner Erziehung noch nicht geboten.

Dies entspricht nach Ansicht des OLG auch der gesellschaftlichen Realität in Deutschland. Aus der klassischen Säuglingstaufe wird zunehmend eine Kindertaufe, und zwar teilweise (erst) im erinnerungsfähigen Alter. Hinzu kommt, dass das Kind bei der Mutter und im Umgang mit dem Vater sowieso mit unterschiedlichen Praktiken der Religionsausübung konfrontiert wird. Eine Entscheidung über sein religiöses Bekenntnis löst dieses Spannungsverhältnis nicht.

Vielmehr seien die Eltern aufgerufen, religiöse Toleranz gegenüber dem jeweils anderen Bekenntnis zu üben. Bei religiöser Toleranz der Eltern bestehe keine Gefahr eines Loyalitätskonflikts des Kindes, sodass es nicht seinem Wohl entspricht, eine Entscheidung über seine Religionszugehörigkeit zu fällen. Vielmehr sei es aus der Sicht des weltanschaulich neutralen Staates geboten, das Kind nicht bereits frühzeitig in eine Religionsgemeinschaft zu integrieren.

Das Gericht ging also davon aus, dass sich das Kind zu einem späteren Zeitpunkt eigenständig einer Religion zuordnen will, und wollte in diesen Prozess nicht regulierend eingreifen.

OLG Karlsruhe, Beschl. v. 03.05.2016 – 20 UF 152/15

 

Kosten und Nutzen von Mediation

Über 'Mediation und Gerichtsverfahren in Sorge- und Umgangsrechtskonflikten' hat Prof. Dr. Reinhard Greger (Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg / Fachbereich Rechtswissenschaft, Richter am Bundesgerichtshof a.D.) im Auftrag des Bundesministeriums der Justiz eine Pilotstudie zum Vergleich von Kosten und Folgekosten durchgeführt. An der Befragung habe ich teilgenommen.

Die 2007 – 2009 durchgeführte rechtstatsächliche Untersuchung vergleicht gerichtlich entschiedene und durch Mediation geregelte Elternkonflikte in Bezug auf Kosten, Akzeptanz und Nachhaltigkeit. Den Abschlussbericht finden Sie hier.

Wie viel ist Ihnen das Sorgerecht wert?

Was für eine Frage!?

Das lässt sich doch in Geld gar nicht messen!

 

Alles, was ich besitze, mehr noch, ist mir das Sorgerecht für mein Kind wert!

 

Schön, wenn Sie so denken. Die Wertbemessung bestimmt nämlich die gesetzlichen Gebühren des Anwaltes, der für Sie tätig ist. Und da sieht der Gesetzgeber einen "Regelwert" vor: 3.000 € ist Ihnen Ihr Sorgerecht in der Regel wert. Mehr nicht.

 

Das mag Sie als denjenigen freuen, der aus diesem Wert die Anwalts- und Gerichtsgebühren berechnet bekommt: 586,08 € incl. MwSt. für den Anwalt, 267 € für das Gericht.

 

Nun bedenken Sie aber bitte: In vielen Sorgerechtsverfahren brauchen Sie viel Gesprächszeit mit Ihrem Anwalt. Sie wollen ihm viele Einzelheiten erzählen. Der Sachverhalt verändert sich vielleicht laufend. Ihr RA soll für Sie erreichbar sein. Er soll auch für Ihre Befindlichkeiten, Ihre psychische Not, ein Ohr haben. Er soll Ihre Position ausführlich vor Gericht vertreten, schriftlich und mündlich. Es werden oft mehrere Gerichtstermine anberaumt. Es wird vielleicht ein Gutachten eingeholt, dessen Lesen schon mehr als eine Stunden braucht, und zu dem Ihr RA insbesondere dann ausführlich Stellung nehmen soll, wenn es nicht in Ihrem Interesse ausfällt. Wenn Sie wissen, dass der kalkulatorische Stundensatz eines Fachanwaltes incl. seiner Bürokosten bei 250-350 € liegt, erkennen Sie, dass ein Sorgerechtsverfahren für Ihren RA selten wirtschaftlich ist. Denn ein Sorgerechtsverfahren, in dem ich weniger als zwei Stunden Zeit aufgewendet habe, erlebe ich selten.

 

Das OLG Köln hat ein Einsehen gehabt und mit Beschluss vom 21.3.2013 - II-12 WF 247/12 - den Gegenstandswert eines aufwendigeren Sorgerechtsverfahrens auf 5.000 € festgesetzt. Das ergibt für den RA 919,28 € Honorar, ist aber die absolute Ausnahme.

 

Ich halte es mit meinen Mandanten anders:

 

Sorgerechtsverfahren rechne ich nach meinem konkreten Zeitaufwand ab. So kann jeder Mandant selbst entscheiden, wie intensiv er mich in Anspruch nehmen will.

 

Von Interesse bleibt der Gegenstandswert jedoch für die Gerichtskosten sowie in Fällen von VKH.

OLG Köln II-12 WF 247/12
Gegenstandswert 5.000 Euro
OLG Köln II12 WF 24712.pdf
PDF-Dokument [135.9 KB]

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Martina Mainz-Kwasniok

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Aktualisiert zuletzt am 13.3.2018



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