Der nachfolgende Text entspringt einem Interview, das die Wirtschaftsjournalistin Constanze Hacke im September 2011 für das Handelsblatt mit mir geführt hat.
Kurz erklärt: was ist das typische Problem von Unternehmern, deren Ehe scheitert?
Sofern der Unternehmer keinen notariellen Ehevertrag geschlossen hat, lebt er in der Zugewinngemeinschaft. Angenommen, er habe das Unternehmen (Arztpraxis, Beteiligung etc.) während der Ehe gegründet und weiter angenommen, sonst gebe es in der Ehe kein Vermögen – dann muss er bei Scheidung die Hälfte seines Unternehmenswertes an den anderen Ehegatten auszahlen. Das ist häufig ein Liquiditätsproblem, wenn nicht gar das wirtschaftliche Aus.
Auf gerichtliche Tätigkeit von Anwälten wirken sich höchstrichterliche Urteile nicht unverzüglich und nicht spektakulär aus. Jeder Familienrechtler hat vielleicht aktuell und zufällig einen, drei oder fünf Fälle, in denen Firmenbewertungen eine Rolle bei der Berechnung des Zugewinns spielen. Da wird so ein Urteil natürlich sofort kopiert und von derjenigen Partei in das Verfahren eingeführt, die sich davon Vorteile verspricht. Das darf man sich aber nicht so vorstellen, dass damit der Fall gelöst ist! Jede richterliche Entscheidung, auch solche des BGH, ist eine Entscheidung über den Einzelfall, „sachverhaltsspezifisch“. Daraus saugt nun jeder beteiligte Anwalt Honig, soweit es auf seinen Fall passt. Der eine schreibt: „Wie der BGH schon sagte, ist es auch hier so, dass…“ – der andere schreibt: „Anders als im vom BGH entschiedenen Fall ist es hier wie folgt …“
Der BGH hat jetzt (in Fortschreibung seiner Entscheidung vom 6. Februar 2008 - XII ZR 45/06) allerdings wesentliche Punkte geklärt:
Auf dem Weg zur Lösung der konkreten Zugewinnberechnung warten immer noch viele Hürden und Kurven, die in der „Präzedenz“-Entscheidung des BGH nicht genommen werden mussten, weil es eben ein anderer Fall war.
Der familienrechtliche Senat des BGH hat hier nur über die Bewertungsmethode im Familienrecht geurteilt. Familienrechtliche Stichtagsbetrachtung beim Zugewinn muss sich unterscheiden von der Firmenbewertung z.B. im Fall eines Praxisverkaufes. Beim Verkauf (bzw. der Aufnahme eines Partners) ist nach wie vor von einer klassischen Investitionsrechnung auszugehen. Unter Berücksichtigung aller Chancen und Risiken werden dabei die Zukunftserträge ermittelt.
Eine Zugewinnberechnung demgegenüber blickt nicht in die Chancen der Zukunft. Für die Aufteilung unter Eheleuten ist nur relevant, was in der Vergangenheit geschaffen wurde und am Ende der Ehezeit noch vorhanden ist. Zukünftige mögliche Gewinne dürfen dabei nicht kapitalisiert werden. Also bestimmt der Bewertungsanlass (Zugewinnberechnung oder Verkauf) die Bewertungsmethode. Hier ähnelt das Vorgehen des BGH übrigens der Methode des vereinfachten Ertragswertverfahrens gemäß §§ 199 ff. BewG (für Erbschaft- und Schenkungsteuerzwecke), weil auch dies nicht zukunftsorientiert rechnet.
Neu ist die BGH-Aussage, dass der Umsatz einer Firma nicht der Ausgangspunkt der Wertbemessung sein kann, weil der Umsatz keine sicheren Rückschlüsse auf die Gewinnerwartung und somit auch nicht auf den am Stichtag realisierbaren Wert zulasse. Alle Verfahren mit Umsatzvervielfältigern sind daher familienrechtlich tabu.
Auch die Bewertung nach der reinen “Ertragswertmethode” sei nicht richtig. Eine Prognose nur anhand des Ertrages berücksichtige nicht, dass sich in freiberuflichen Praxen die Person des derzeitigen Inhabers nicht von dem Ertrag trennen lasse.
Die Lösung liegt in der modifizierten Ertragswertmethode.
Modifizierte Ertragswertmethode in diesem Sinne heißt, von den durchschnittlichen Erträgen der letzten drei Jahre einen individuellen Unternehmerlohn sowie die latente Ertragsteuer abzusetzen, um dann das Ergebnis mit einem Rentenbarwertfaktor abzuzinsen (hier für drei Jahre bis an das Ende der Ehezeit: 2,7620). Dem Faktor entspricht für drei Jahre ein Rechenzins von 9 %. Der Basiszins, die Risikozuschläge und der Steuerabzug sind sachverständig zu berechnen. Die Wertermittlung selbst ist keine Aufgabe für die am Zugewinnverfahren beteiligten Juristen, sondern für einen Sachverständigen.
Nein, der BGH kennt ein „Doppelverwertungsverbot“ und hat das beachtet.
Schon in seiner früheren Entscheidung hatte der BGH betont, dass bei der Berechnung in individueller Unternehmerlohn abzuziehen ist – kein branchenüblicher (BGH 6.2.08, XII ZR 45/06). Relevant ist nur der durch den persönlichen Einsatz erzielte Unternehmerlohn, der sich an den persönlichen Verhältnissen des Inhabers orientiert, auch regionale Lebenshaltungskostenunterschiede müssen berücksichtigt werden. Wird vom Firmenwert dieser Unternehmerlohn abgezogen (derselbe, der auch der Unterhaltsberechnung zugrunde liegt), dann wird beim Zugewinn ja nur der Teil des Firmenwertes geteilt, der nicht für den Lebensunterhalt der Familie verwendet wurde, also ein „Übergewinn“.
Die Substanz (Büroeinrichtung, Kfz und dergleichen), der Ertragswert abzüglich des Unternehmerlohns plus der Goodwill. Davon abzuziehen sind die latenten Veräußerungssteuern.
Beim Goodwill unterscheidet der BGH nun zwischen zwei Säulen. Die eine Säule ist unabhängig vom konkreten Firmeninhaber: Standort, Art und Zusammensetzung der Patienten/Mandanten, Konkurrenzsituation etc. Dieser Marktwert ist auf einen Nachfolger übertragbar.
Die andere Säule steht und fällt mit dem Firmeninhaber: dessen persönliche Fähigkeiten, Fertigkeiten, Ruf und Ansehen. Dieser Teil des „Goodwill“ darf in der Zugewinnberechnung den Verkehrswert des Unternehmens nicht bestimmen, weil er nicht auf einen Nachfolger übertragbar ist.
Es kann sogar Fälle geben, in denen dem Ruf und Ansehen des Praxisinhabers eine solche überwiegende Bedeutung zukommt, dass dies einen Goodwill vollständig ausschließt oder jedenfalls deutlich herabsetzt.
Insbesondere bei kleineren freiberuflichen Kanzleien oder Praxen, bei denen die unternehmerischen Fähigkeiten des Eigentümers Wohl und Wehe des Unternehmens bestimmen, hängt der Erfolg in erheblichem Maße auch von der Person des Inhabers ab. Denn Angehörige eines freien Berufes erbringen regelmäßig eine höchstpersönliche Leistung, bei der Hilfskräfte lediglich für untergeordnete, nicht zum eigentlichen Berufsbild gehörende Tätigkeiten eingesetzt werden.
Eine übliche Freiberuflerpraxis wirft vielleicht genau den Ertrag ab, den der Unternehmer als seinen individuellen Lohn benötigt. Ertragswert abzüglich Unternehmerlohn wäre dann Null.
Auch der Substanzwert gibt vielleicht nicht viel her: Eine Freiberuflerpraxis wie die z.B. eines Rechtsanwaltes oder Steuerberaters, dessen Büroausstattung schon die Abschreibungsfrist hinter sich hat, dürfte einen unerheblichen Substanzwert haben.
Der Wert einer solchen Praxis wird dann allein durch den „Goodwill“ bestimmt.
Natürlich. Zwar hat der BGH deutlich gemacht, dass ihm die modifizierte Ertragswertmethode passender erscheint als das Umsatzwertverfahren oder auch als das reine Ertragswertverfahren. Selbst wenn man sich aber auf diese Methodik einigt, hat auch das modifizierte Ertragswertverfahren hinreichend „weiche Faktoren“, mit denen das Ergebnis subjektiv beeinflussbar wird.
Das Streitpotential ist also durch die BGH-Entscheidung nicht sonderlich verkleinert. Der BGH sagt ja wörtlich, dass es sogar Fälle geben kann, in denen dem Ruf und Ansehen des Praxisinhabers eine solche überwiegende Bedeutung zukommt, dass dies einen ideellen Wert vollständig ausschließt oder jedenfalls deutlich herabsetzt.
Über diese Frage werden Eheleute also Argumente austauschen: Hängt der Erfolg des Unternehmens nur an der Unternehmerpersönlichkeit?
Unternehmer/innen haben im Vergleich zur sonstigen Bevölkerung geringere Hemmschwellen, ihre Projekte einer Risiko-Analyse zu unterziehen und sich rechtlich beraten zu lassen. Wenn sie also die Eheschließung unromantisch als solches Projekt betrachten, liegt der Abschluss eines individuellen Ehevertrages nahe.
Dazu gehören jedoch immer zwei: auch der andere Ehepartner muss davon zu begeistern sein. Ich kenn daher versierte familienrechtlich tätige Kanzleiinhaber, die wider besseres Wissen keinen Ehevertrag haben, weil sie ihren Partner nicht davon überzeugen konnten und dennoch die Hochzeit nicht platzen lassen wollten.
Ich glaube nicht. Aber je größer die Firma, desto eher besteht schon im Rahmen der Erarbeitung des Gesellschaftsvertrages ein Problembewusstsein dafür, dass Gesellschafter heiraten können und dass deren Ehen scheitern können. In solchen Fällen verlangt bereits der Gesellschaftervertrag häufig, dass die Gesellschafter ehevertragliche Modifikationen des Zugewinnausgleiches vornehmen. Alternativ dazu sieht der der Gesellschaftsvertrag für den Fall des Ausscheidens eine Begrenzung des Abfindungsanspruchs (etwa auf den Substanzwert) vor – das bestimmt natürlich dann den objektiven Verkehrswert und bindet auch den Familienrichter.
Die Lösung liegt darin, den gesetzlichen Zugewinnausgleich zu modifizieren. Es gibt dabei eine Bandbreite der Modifikationen:
Jede dieser Möglichkeiten hat Vor- und Nachteile, insbesondere müssen Manipulationsmöglichkeiten minimiert werden. Ohne individuelle Beratung geht das nicht, einen Ehevertrag „von der Stange“ für alle Unternehmer-Ehen gibt es nicht.
Ich halte auch nichts von der Betrachtung, dass der andere Ehegatte bei Scheitern der Ehe grundsätzlich vom unternehmerischen Erfolg abgeschnitten werden muss. Oft beruht der Erfolg sogar auf dem Einsatz des anderen Ehegatten, nicht nur wenn der aktiv z.B. die Buchhaltung geführt hat, sondern auch, weil dem Unternehmer familiär „der Rücken freigehalten“ wurde.
Es ist ein menschlicher Zug, dass bei Eingehung einer Ehe die statistische Wahrscheinlichkeit des Scheiterns verdrängt wird. Auch beim Standesamt wird die Ehe ja immer noch „auf Lebenszeit“ geschlossen. Die Romantik macht vor Unternehmern nicht per se Halt. Bei Freiberuflern, die Unternehmensführung nicht von der Pike auf gelernt haben, wie z.B. bei Ärzten, ist das Problembewusstsein nicht sonderlich ausgeprägt.
Ich habe immer noch zu viele Fälle, in denen ein Scheidungsverfahren durch die Existenz eines Unternehmens im Endvermögen unnötig aufreibend und kostenzehrend wird, und in denen das wirtschaftliche Überleben eines Unternehmens durch die Scheidung gefährdet wird – weil es keinen Ehevertrag gab.
Eine wirklich gute Lösung solcher Fälle gibt es selten durch ein gerichtliches Urteil – eher durch einen nachträglichen Ehevertrag, der von den Eheleuten selbst mit Mediation erarbeitet wurde.
Und: Über Unterhaltsproblematik haben wir noch gar nicht gesprochen - das ist auch ein weites Feld, gerade bei Selbstständigen!
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