Der typische Fall in meiner Praxis:
SIE ist Hausfrau oder Kleinverdienerin, aber gut verheiratet mit IHM, gut verdienend. IHRE Eltern kommen ins Pflegeheim. Dass SIE nicht zahlen kann, wird dem Sozialhilfeträger rasch klar - nun interessiert er sich für Einkommen und Vermögen des Schwiegersohnes.
Darf das sein?
Der Fall hat unter Juristen ein Stichwort: "verdeckte Schwiegerkindhaftung". Verdeckt deswegen, weil es keine rechtliche Unterhaltsbeziehung zwischen den beiden gibt, aber faktisch die gute finanzielle Situation des Schwiegerkindes zu einer Unterhaltspflicht des Kindes führen kann. Unterhaltspflichtig sind grundsätzlich nur die verwandten Kinder. Der Schwiegersohn ist nicht verwandt und haftet deshalb nicht nach §§ 1601 ff. BGB. Es gibt zahlreiche Juristen, die die verdeckte bzw. mittelbare Schwiegerkindhaftung für grundgesetzwidrig halten.
Zu differenzieren ist nun im Weiteren zwischen Einkommen und Vermögen.
Liegt die Summe der Einkünfte eines Ehepaares unter dem gemeinsamen Selbstbehalt, spielt das Einkommen des Schwiegerkindes keine Rolle, darüber schon.
Der Gedanke ist nämlich Folgender: Da der Schwiegersohn verheiratet ist und seiner Ehefrau angemessenen Unterhalt schuldet, ist sein Einkommen nicht allein seins, rechtlich gehört kraft Ehe (Familienunterhalt, § 1360 BGB, Taschengeldanspruch) schon ein Teil seiner Frau. Aus diesem Teil ist sie leistungsfähig für ihre Mutter.
Die genaue Berechnung finden Sie hier.
Unter Juristen ist umstritten, ob die mittelbare Schwiegerkind-Haftung nicht verfassungswidrig ist. Allerdings liegt bislang - meines Wissens - keine Verfassungsbeschwerde zu dem Thema vor.
Zusätzlich war umstritten, ob die Berechnungsmethode aus 2010 nur dann gilt, wenn das Kind der Mehrverdiener in der Ehe ist - oder auch dann, wenn das Kind der Wenigerverdiener oder ganz ohne Einkommen ist.
Dazu hat der BGH jedoch am 5.2.2014 entschieden: ja, auch im ungekehrten Fall ist diese Rechenmethode korrekt.
Die Entscheidung des BGH vom 12.12.12 XII ZR 43/11 (zum Taschengeld) hatte das nicht geklärt. Das OLG Hamm II-9 UF 64/12 hatte nach der Methode vom 28.7.2010 gerechnet, am 5.2.2014 hat der BGH diese Rechenmethode bestätigt (XII ZB 25/13).
In der WDR-Servicezeit am 6.2.2014 nahm ich zu dieser Entscheidung live im Studio
Stellung.
Aus der Entscheidung des BGH vom 5.2.2014 - XII ZB 25/13 – ergaben sich einige Klärungen von Fragestellungen, die vorher streitig waren:
„Einkommenslose verheiratete Hausfrau“
Wenn der unterhaltspflichtige Ehegatte über kein eigenes Einkommen verfügt, hat er nach der Rechtsprechung des Senats sein Taschengeld für den Elternunterhalt einzusetzen, wobei ihm allerdings ein Betrag in Höhe von 5 bis 7 % des Familienselbstbehalts sowie in Höhe der Hälfte des darüber hinausgehenden Taschengeldes verbleiben muss. Bei einem unterhalb von 5 bis 7 % des Familieneinkommens liegenden Einkommen des Unterhaltspflichtigen ist auch das Taschengeld einzusetzen und demgemäß der insoweit bestehende Selbstbehalt zu beachten - siehe unten BGH vom 12.12.2012.
„Schwiegerkind ist Mehrverdiener“
Der Senat hält die Anwendung des von ihm im Jahr 2010 entwickelten Berechnungsmodells auch in Fällen der vorliegenden Art für in der Regel sachgerecht, in denen das unterhaltspflichtige Kind über ein geringeres Einkommen als sein Ehegatte verfügt. Eine verdeckte Haftung des besserverdienenden Schwiegerkindes sei das nicht. Die Anwendung des vom Senat im Jahr 2010 entwickelten Berechnungsmodells auch auf die vorliegende Fallgestaltung trägt schließlich auch einem berechtigten Anliegen der Praxis Rechnung. Denn durch die einheitliche Anwendung dieses Modells wird die Unterhaltspflicht vergleichbar und berechenbar.
Rechenweg
Einkommen Antragsgegnerin |
1657,66 € |
Einkommen Ehegatte |
3993,99 € |
Familieneinkommen |
5651,65 € |
abzgl. damaliger Familienselbst-behalt |
2700,00 € |
verbleiben |
2951,65 € |
abzgl. 10 % Haushaltsersparnis |
295,17 € |
Zwischensumme |
2656,49 € |
davon verbleiben zusätzlich ½ |
1328,24 € |
zzgl. Familienselbstbehalt |
2700,00 € |
indiv. Familienbedarf |
4028,24 € |
Anteil Antragsgegnerin |
1181,50 € |
Einkommen Antragsgegnerin |
1657,66 € |
abzgl. Anteil der Antragsgegnerin am Familienselbstbehalt |
1181,50 € |
für Elternunterhalt einsetzbar |
476,15 € |
Wohnvorteil
Der Auffassung der Rechtsbeschwerde, wonach der Wohnvorteil des Unterhaltspflichtigen beim Elternunterhalt grundsätzlich nicht dem Einkommen hinzugerechnet werden dürfe, sondern ausschließlich im Rahmen des Selbstbehalts zu berücksichtigen sei, nicht gefolgt werden. Es besteht kein Grund dafür, den Wohnvorteil im Rahmen der verschiedenen Unterhaltsansprüche - beim Ehegatten- und Kindesunterhalt einerseits und beim Elternunterhalt andererseits dem Grunde nach in unterschiedlicher Weise zu berücksichtigen. Denn der Wohnvorteil ist beim Ehegattenunterhalt ebenfalls mit dem Wert der Nutzungen im Rahmen der Leistungsfähigkeit zu berücksichtigen. Für eine abweichende Berücksichtigung des Wohnvorteils im Elternunterhalt besteht kein Bedürfnis. Dem Schutz des Pflichtigen ist dadurch hinreichend Rechnung getragen, dass die mit dem Wohnvorteil einhergehenden finanziellen Verpflichtungen, die im Falle der Vermietung nicht auf den Mieter umgelegt werden können, bereits bei der Bemessung des Wohnvorteils zu berücksichtigen sind. Sollte der danach verbleibende Wohnvorteil zusammen mit den umlagefähigen Wohnnebenkosten den in den Leitlinien bestimmten Wohnkostenanteil des Selbstbehalts übersteigen, ist eine entsprechende Erhöhung des Selbstbehalts im Einzelfall nicht ausgeschlossen. Entsprechendes gilt, wie das Beschwerdegericht zutreffend ausgeführt hat, wenn dem Wohnvorteil keine adäquaten finanziellen Mittel gegenüber stünden, mit denen der Unterhaltspflichtige den Elternunterhalt begleichen könnte.
Bei der Ermittlung der ersparten Miete bleiben alle Kosten, die (auch) ein Mieter neben der Grundmiete gesondert zu tragen hat, außer Betracht. Vom Wohnwert abzuziehen sind lediglich die nicht umlagefähigen Wohnnebenkosten, die allein vom Eigentümer getragen werden. Ob die Kosten auf einen Mieter umgelegt werden können, kann im Regelfall nach §§ 1, 2 BetrKV beurteilt werden. Nicht umlagefähig sind danach etwa Kosten der Verwaltung und Instandhaltungskosten (Senatsurteil vom 27. Mai 2009 XII ZR 78/08 FamRZ 2009, 1300 Rn. 30, 33 ff.).
Berücksichtigung eines neu aufgenommen Kfz-Darlehens
Ob eine Verbindlichkeit im Einzelfall zu berücksichtigen ist, kann danach nur im Rahmen einer umfassenden Interessenabwägung nach billigem Ermessen entschieden werden. Insoweit sind insbesondere der Zweck der Verbindlichkeiten, der Zeitpunkt und die Art ihrer Entstehung, die Dringlichkeit der beiderseitigen Bedürfnisse, die Kenntnis des Unterhaltsschuldners von Grund und Höhe der Unterhaltsschuld und seine Möglichkeiten von Bedeutung, die Leistungsfähigkeit ganz oder teilweise wiederherzustellen (Senatsurteil BGHZ 154, 247 = FamRZ 2003, 1179, 1181).
Hier mal eine klare Antwort: Nein, das Schwiegerkind haftet nicht aus seinem Vermögen. In der Praxis die wichtigere Frage ist häufig: Was ist Sein, was ist mein? Hilft Gütertrennung zur Klärung?
Wer das fragt, hat den Unterschied zwischen Zugewinngemeinschaft und Gütertrennung und Gütergemeinschaft nicht verstanden. Nur bei der Gütergemeinschaft gehört das eheliche Verbögen beiden. Der Güterstand ist selten und war früher in der Landwirtschaft verbreitet. Sowohl bei der Zugewinngemeinschaft wie bei der Gütertrennung gehört alles Vermögen nur dem, dessen "Name draufsteht", z.B. auf dem Kontoauszug oder im Grundbuch. Stehen beide "Namen drauf", gehört es halb/halb - egal, wie das Geld zusammengekommen ist.
Der Fall:
Das Sozialamt begehrt vom Schwiegersohn Auskunft über dessen Einkommen und Vermögen auf Basis des § 117 SGB XII. Der weigert
sich bei der Auskunft über das Vermögen, weil es zivilrechtlich keinen Grund geben kann, dass sein Vermögen Grundlage für die Unterhaltsberechnung der
Schwiegermutter wird. Er sieht sich in seinem informationellen Selbstbestimmungsrecht verletzt.
Das Problem:
Zwar wäre für die Beurteilung des Unterhaltsanspruches das Zivilgericht (Amtsgericht / Familiengericht) zuständig, aber für die Auskunft nach dem SGB XII ist das
Sozialgericht zuständig. Der Rechtszug läuft über Bescheid - Widerspruch - Widerspruchsbescheid - Klage. Das Sozialamt argumentierte, dass es egal sei, ob zivilrechtlich ein Auskunftsanspruch bestehe - die Klärung der Unterhaltshöhe sei ja einem späteren zivilrechtlichen Verfahren vorbehalten. Eine
Auskunftserteilung sei ja nicht gleichbedeutend mit der Anerkennung einer Unterhaltspflicht. Die mit dem Fall befassten Sozialgerichte stellten sich dann auf den Standpunkt, dass, gerade weil sie sich mit dem Unterhaltsrecht nicht auskennen, sie nicht von vorneherein ausschließen können, dass die Auskunft doch für
die Berechnung wichtig sei - und gaben dem Sozialamt in beiden Instanzen recht. Die Revision zum Bundessozialgericht wurde nicht zugelassen. Das Bundesverfassungsgericht hätte vielleicht noch die
Verhältnismäßigkeit geprüft, aber da kam dieser Fall leider nie an.
Aus den Entscheidungsgründen des LSG NRW:
Aus § 117 Abs. 1 Satz 1 SGB XII ergibt sich die Verpflichtung des Klägers, nicht lediglich über seine Einkommens-, sondern auch über seine Vermögensverhältnisse Auskunft zu geben.
Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung wird durch § 117 Abs. 1 Satz 1 SGB XII zulässig im (höherrangigen) Allgemeininteresse - konkret: der Herstellung des Nachrangs der Sozialhilfe - eingeschränkt. Dabei müssen, was der Senat bereits früher ausgeführt hat, die begehrten Auskünfte geeignet und erforderlich sind, den Leistungsanpruch zu klären. Auch die Frage der Geeignetheit und Erforderlichkeit ist jedoch insoweit lediglich eingeschränkt zu prüfen, als es ausreicht, festzustellen, dass die Relevanz der begehrten Auskünfte für die Prüfung des Leistungsbegehrens einerseits und möglicher Unterhaltsansprüche des Hilfebedürftigen andernfalls nicht offensichtlich ausgeschlossen ist. Dies ergibt sich daraus, dass auch das Auskunftsersuchen nur dann rechtswidrig ist, wenn offensichtlich kein überleitbarer Anspruch besteht (Negativevidenz).
Der Auffassung des Klägers, sein Vermögen könne unter keinem denkbaren Gesichtspunkt Bedeutung für Unterhaltsansprüche der Hilfebedürftigen gegenüber seiner Ehefrau erlangen, vermag sich der Senat nicht anzuschließen. Die Argumentation des Klägers beachtet nicht hinreichend, dass die Prüfung der unterhaltsrechtlichen Fragen den Zivilgerichten obliegt. Es ist nicht Aufgabe der Sozialgerichte, unterhaltsrechtlichen Fragen nachzugehen. Negativevidenz kann nur dann vorliegen, wenn ein Anspruch von vornherein, ohne nähere Prüfung - offensichtlich - ausgeschlossen ist. Dies wird schon angesichts der Bedeutung etwa der Rechtsprechung für die Rechtspraxis und fortschreitender Rechtsentwicklung ohnehin nur in Ausnahmefällen in Betracht kommen, ist vorliegend jedoch nicht der Fall. Zur Klärung der hier maßgeblichen unterhaltsrechtlichen Fragen reicht nicht einmal ein Auffinden der maßgeblichen zivilrechtlichen Vorschriften (wohl §§ 1360, 1360 a und 1578 BGB) aus, da sich die Frage, ob das Vermögen des Klägers für einen Unterhaltsanspruch seiner Ehefrau ihm gegenüber und damit ggf. auch für Unterhaltsansprüche der Hilfebedürftigen bedeutsam ist, aus dem Gesetz heraus nicht beantwortet. Und selbst unter Würdigung der einschlägigen Judikatur und Kommentarliteratur erscheint es nicht von vornherein ausgeschlossen, dass auch das Vermögen Bestandteil der ehelichen Lebensverhältnisse ist, weil es den ehelichen Lebensstandard prägen kann. Auch wenn schließlich eine weitere, nur summarische Prüfung eher dafür spricht, dass das Vermögen, anders als Vermögenserträge, nicht zur Bedarfsdeckung eingesetzt wird.
Landessozialgericht NRW - 14.9.09 - L 20 SO 96/08
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Dann ist es für Ihre Zahlungen an das Sozialamt von großer Wichtigkeit, ob Ihr Patchworksystem als „Familie“ angesehen wird, denn nur dann steht Ihnen ein höherer
Selbstbehalt zu.
Im vom BGH entschiedenen Fall gab es drei Kinder – ein gemeinsames und zwei, die die Freundin des Elternunterhaltspflichtigen mit in die Beziehung gebracht hatte. Das gemeinsame Kind war schon älter
als drei Jahre, dennoch arbeitete die Kindesmutter nicht. Das Sozialamt wollte streng sein und meinte, da der Lebensgefährtin wegen des Alters des Kindes nach § 1615l BGB kein Betreuungsunterhalt
mehr zustehe, sei ihre Existenz bei der Berechnung des Elternunterhaltes egal.
Anders der BGH: Im Einzelfall kommen nämlich elternbezogene Gründe für eine Verlängerung des Betreuungsunterhalts über das 3. Lebensjahr hinaus in Betracht. Ein elternbezogener Grund für eine
Verlängerung des Betreuungsunterhalts kann auch die einvernehmliche Handhabung in der intakten Beziehung sein. Da das Paar offenbar eine Vereinbarung getroffen hat, dass der Vater erwerbstätig ist
und die Mutter das gemeinsame Kind betreut, dann müsse diese Abrede von einem Dritten (Sozialamt) auch berücksichtigt werden (Ausnahme: es ist eine rechtsmissbräuchliche Gestaltung zulasten des
Sozialamtes).
Es war also der §1615-l-Unterhalt für die Freundin auszurechnen und der geht den bedürftigen Eltern im Rang vor. Allerdings gab es keinen „Familienselbstbehalt“ wie in der Ehe.
Und: § 1615l BGB hilft nur, wenn ein gemeinsames Kind betreut wird. Mitgebrachte Kinder der Freundin aus einer anderen Beziehung haben rechnerisch keine Bedeutung.
BGH, Beschluss v. 09.03.2016 – XII ZB 693/14
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Aktualisiert zuletzt am 18.5.2016
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