Vorsorgevollmacht & Patientenverfügung: BGH konkretisiert 2016 die Anforderungen
Welche Anforderungen müssen eine Vorsorgevollmacht und eine Patientenverfügung im Zusammenhang mit dem Abbruch von
lebenserhaltenden Maßnahmen erfüllen? Der BGH hat 2016 entschieden, dass eine schriftliche Patientenverfügung konkrete Entscheidungen des Betroffenen über bestimmte, noch nicht unmittelbar
bevorstehende ärztliche Maßnahmen enthalten muss. Sonst ist sie nicht bestimmt genug und damit unwirksam.
Viele ältere Formulare entsprechen diesen Anforderungen
nicht!
Der Fall:
Die 1941 geborene Betroffene erlitt Ende 2011 einen Hirnschlag. Noch im Krankenhaus wurde ihr eine Magensonde gelegt, über die sie
seitdem ernährt wird und Medikamente verabreicht bekommt. Im Januar 2012 wurde sie in ein Pflegeheim aufgenommen. Nach einer Phase epileptischer Anfälle im Frühjahr 2013 konnte sie nicht mehr
kommunizieren.
Die Betroffene hatte 2003 und 2011 zwei wortlautidentische, mit „Patientenverfügung“ betitelte Schriftstücke unterschrieben.
In diesen war niedergelegt, dass unter anderem dann, wenn aufgrund von Krankheit oder Unfall ein schwerer Dauerschaden des Gehirns
zurückbleibe, „lebensverlängernde Maßnahmen unterbleiben“ sollten. An die „Patientenverfügung“ angehängt war die einer ihrer drei Töchter erteilte
Vorsorgevollmacht, dann an ihrer Stelle mit der behandelnden Ärztin alle erforderlichen Entscheidungen abzusprechen, ihren Willen im Sinne dieser
Patientenverfügung einzubringen und in ihrem Namen Einwendungen vorzutragen, die die Ärztin berücksichtigen solle.
Außerdem hatte die Betroffene 2003 in einer notariellen Vollmacht dieser Tochter Generalvollmacht erteilt. Diese berechtigte zur
Vertretung auch in Fragen der medizinischen Versorgung und Behandlung. Die Bevollmächtigte könne „in eine Untersuchung des Gesundheitszustandes, in eine Heilbehandlung oder in die Durchführung eines
ärztlichen Eingriffs einwilligen, die Einwilligung hierzu verweigern oder zurücknehmen.“ Die Vollmacht enthielt zudem die Befugnis, über den Abbruch lebensverlängernder
Maßnahmen zu entscheiden mit dem Zusatz, dass die Betroffene im Falle einer zum Tode führenden Erkrankung keinen Wert auf solche Maßnahmen lege, wenn feststehe, dass eine Besserung des Zustands nicht
erwartet werden könne.
Die Bevollmächtigte und die die Betroffene behandelnde Hausärztin sind übereinstimmend der Auffassung, dass der Abbruch der künstlichen
Ernährung gegenwärtig nicht dem Willen der Betroffenen entspricht. Demgegenüber vertreten die beiden anderen Töchter der Betroffenen die gegenteilige Meinung und haben deshalb beim
Betreuungsgericht angeregt, einen sogenannten Kontrollbetreuer nach § 1896 Abs. 3 BGB zu bestellen, der die ihrer Schwester erteilten Vollmachten widerruft.
Während das Amtsgericht dies abgelehnt hat, hat das Landgericht den amtsgerichtlichen Beschluss aufgehoben und eine der beiden auf
Abbruch der künstlichen Ernährung drängenden Töchter zur Betreuerin der Betroffenen mit dem Aufgabenkreis „Widerruf der von der Betroffenen erteilten Vollmachten, allerdings nur für den Bereich der
Gesundheitsfürsorge“, bestellt.
Wesentliche Entscheidungsgründe
Die Rechtsbeschwerde der bevollmächtigten Tochter war erfolgreich. Sie führt zur Zurückverweisung der Sache an das
Landgericht.
Ein Bevollmächtigter kann nach § 1904 BGB die Einwilligung, Nichteinwilligung und den Widerruf der Einwilligung des
einwilligungsunfähigen Betroffenen rechtswirksam ersetzen, wenn ihm die Vollmacht schriftlich erteilt ist und der Vollmachttext hinreichend klar umschreibt, dass sich die Entscheidungskompetenz des
Bevollmächtigten auf die im Gesetz genannten ärztlichen Maßnahmen sowie darauf bezieht, diese zu unterlassen oder am Betroffenen vornehmen zu lassen.
Hierzu muss aus der Vollmacht auch deutlich werden, dass die jeweilige Entscheidung mit der begründeten Gefahr des Todes oder eines
schweren und länger dauernden gesundheitlichen Schadens verbunden sein kann. Ob die beiden von der Betroffenen erteilten privatschriftlichen Vollmachten diesen inhaltlichen Erfordernissen gerecht
werden, unterliegt Bedenken, weil sie nach ihrem Wortlaut lediglich die Ermächtigung zur Mitsprache in den in der Patientenverfügung genannten Fallgestaltungen, nicht aber zur Bestimmung der
Vorgehensweise enthalten. Jedenfalls die notarielle Vollmacht genügt aber den gesetzlichen Anforderungen.
Eine schriftliche Patientenverfügung im Sinne des § 1901 a Abs. 1 BGB entfaltet unmittelbare
Bindungswirkung nur dann, wenn ihr konkrete Entscheidungen des Betroffenen über die Einwilligung oder Nichteinwilligung in bestimmte, noch nicht unmittelbar bevorstehende ärztliche Maßnahmen
entnommen werden können. Von vornherein nicht ausreichend sind allgemeine Anweisungen, wie die Aufforderung, ein würdevolles Sterben zu ermöglichen oder zuzulassen, wenn ein Therapieerfolg nicht mehr
zu erwarten ist.
Die Anforderungen an die Bestimmtheit einer Patientenverfügung dürfen aber auch nicht überspannt werden. Vorausgesetzt werden kann nur,
dass der Betroffene umschreibend festlegt, was er in einer bestimmten Lebens- und Behandlungssituation will und was nicht. Die Äußerung, „keine lebenserhaltenden
Maßnahmen“ zu wünschen, enthält jedenfalls für sich genommen keine hinreichend konkrete Behandlungsentscheidung. Die insoweit erforderliche Konkretisierung kann
aber gegebenenfalls durch die Benennung bestimmter ärztlicher Maßnahmen oder die Bezugnahme auf ausreichend spezifizierte Krankheiten oder Behandlungssituationen
erfolgen.
Danach kommen sowohl die beiden privatschriftlichen Schriftstücke als auch die in der notariellen Vollmacht enthaltenen Äußerungen nicht
als bindende, auf den Abbruch der künstlichen Ernährung gerichtete Patientenverfügungen in Betracht. Sie beziehen sich nicht auf konkrete Behandlungsmaßnahmen, sondern benennen ganz allgemein
„lebensverlängernde Maßnahmen“. Auch im Zusammenspiel mit den weiteren enthaltenen Angaben ergibt sich nicht die für eine Patientenverfügung zu verlangende bestimmte
Behandlungsentscheidung.
Auf der Grundlage der vom Landgericht getroffenen Feststellungen ergibt sich auch kein auf den Abbruch der künstlichen Ernährung
gerichteter Behandlungswunsch oder mutmaßlicher Wille der Betroffenen. Daher kann derzeit nicht angenommen werden, dass die Bevollmächtigte sich offenkundig über den Willen ihrer Mutter hinwegsetzt,
was für die Anordnung einer Kontrollbetreuung in diesem Zusammenhang erforderlich wäre. Das Landgericht wird nach Zurückverweisung allerdings zu prüfen haben, ob mündliche Äußerungen der Betroffenen
vorliegen, die einen Behandlungswunsch darstellen oder die Annahme eines auf Abbruch der künstlichen Ernährung gerichteten mutmaßlichen Willens der Betroffenen rechtfertigen.
BGH, Beschluss v. 06.07.2016 – XII ZB
61/16
Quelle: BGH, Pressemitteilung vom 09.08.2016
Zur Wirksamkeit einer Patientenverfügung:
BGH 14.11.2018
Der Fall
Die damals 68 Jahre alte Betroffene hatte vor zehn Jahren einen Schlaganfall erlitten. Sie befindet sich nach einem
hypoxisch bedingten Herz-Kreislaufstillstand seit zehn Jahren in einem wachkomatösen Zustand. Sie wird seitdem über eine
Magensonde künstlich ernährt und mit Flüssigkeit versorgt.
Bereits deutlich vor ihrem Schlaganfall - im Jahr 1998 - hatte die Betroffene ein mit „Patientenverfügung“ betiteltes
Schriftstück unterschrieben. In diesem war niedergelegt, dass unter anderem dann, wenn keine Aussicht auf Wiedererlangung des Bewusstseins besteht oder aufgrund
von Krankheit oder Unfall ein schwerer Dauerschaden des Gehirns zurückbleibe, „lebensverlängernde Maßnahmen unterbleiben“
sollen.
Zu nicht genauer festgestellten Zeitpunkten von 1998 bis zu ihrem Schlaganfall hatte die Betroffene mehrfach gegenüber verschiedenen Familienangehörigen und Bekannten angesichts zweier Wachkoma-Patienten aus ihrem persönlichen Umfeld
geäußert, sie wolle nicht künstlich ernährt werden, sie wolle nicht so am Leben erhalten werden, sie wolle nicht so daliegen, lieber
sterbe sie.
Sie habe durch eine Patientenverfügung vorgesorgt, das könne ihr nicht passieren. Im Juni 2008 hatte die Betroffene
einmalig nach dem Schlaganfall die Möglichkeit, trotz Trachealkanüle zu sprechen. Bei dieser Gelegenheit sagte sie ihrer Therapeutin: „Ich möchte
sterben.“
Unter Vorlage der Patientenverfügung von 1998 regte der Sohn der Betroffenen im Jahr
2012 an, ihr einen Betreuer zu bestellen.
Das Amtsgericht bestellte daraufhin den Sohn und den Ehemann der Betroffenen zu jeweils
alleinvertretungsberechtigten Betreuern.
Der Sohn der Betroffenen ist, im Einvernehmen mit dem bis dahin behandelnden
Arzt, seit 2014 der Meinung, die künstliche Ernährung und Flüssigkeitszufuhr solle eingestellt werden, da dies dem in der
Patientenverfügung niedergelegten Willen der Betroffenen entspreche.
Ihr Ehemann lehnt dies ab.
Den Antrag des Sohnes für die Betroffene auf Genehmigung der Einstellung der künstlichen
Ernährung und Flüssigkeitszufuhr hat das Amtsgericht abgelehnt. Die dagegen gerichtete Beschwerde der Betroffenen hatte das Landgericht zunächst
zurückgewiesen.
Nach Aufhebung dieser Entscheidung durch den Senat (BGH, Beschl. v. 08.02.2017 - XII ZB 604/15 - FamRZ 2017, 748) und
Zurückverweisung der Sache an das Landgericht hat dieses ein Sachverständigengutachten zu der Frage eingeholt, ob der konkrete Zustand der Betroffenen im Wachkoma
ihr Bewusstsein entfallen lässt und ob in diesem Fall eine Aussicht auf Wiedererlangung des Bewusstseins besteht.
Nachdem der Sachverständige sein Gutachten auch mündlich erläutert hatte, hat das Landgericht die Beschwerde der
Betroffenen nun mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass eine gerichtliche Genehmigung nicht erforderlich ist.
Wesentliche Entscheidungsgründe
Die hiergegen gerichtete Rechtsbeschwerde des Ehemanns der Betroffenen hatte vor
dem BGH keinen Erfolg.
Der Abbruch einer lebenserhaltenden Maßnahme bedarf dann nicht der
betreuungsgerichtlichen Genehmigung nach § 1904 Abs. 2 BGB, wenn der Betroffene einen entsprechenden eigenen Willen bereits in einer wirksamen Patientenverfügung (§ 1901 a Abs. 1 BGB)
niedergelegt hat und diese auf die konkret eingetretene Lebens- und Behandlungssituation zutrifft.
In diesem Fall hat die Betroffene diese Entscheidung selbst in einer alle
Beteiligten bindenden Weise getroffen, so dass eine Einwilligung des Betreuers, die dem betreuungsgerichtlichen Genehmigungserfordernis unterfällt, in die Maßnahme
nicht erforderlich ist.
Wird das Gericht dennoch angerufen, weil eine der beteiligten Personen Zweifel an
der Bindungswirkung einer Patientenverfügung hat und kommt das Gericht zu dem Ergebnis, dass eine wirksame Patientenverfügung vorliegt, die auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation zutrifft,
hat es auszusprechen, dass eine gerichtliche Genehmigung nicht erforderlich ist (sogenanntes Negativattest).
Nach der Rechtsprechung des Senats entfaltet eine Patientenverfügung allerdings nur dann
unmittelbare Bindungswirkung, wenn sich feststellen lässt, in welcher Behandlungssituation welche ärztlichen Maßnahmen durchgeführt werden bzw. unterbleiben
sollen. Die Anforderungen an die Bestimmtheit einer Patientenverfügung dürfen dabei jedoch nicht überspannt werden.
Vorausgesetzt werden kann nur, dass der Betroffene umschreibend festlegt, was er in einer bestimmten Lebens- und
Behandlungssituation will und was nicht. Maßgeblich ist nicht, dass der Betroffene seine eigene Biografie als Patient
vorausahnt und die zukünftigen Fortschritte in der Medizin vorwegnehmend berücksichtigt.
Nicht ausreichend sind jedoch allgemeine Anweisungen, wie die Aufforderung, ein würdevolles Sterben zu ermöglichen oder zuzulassen, wenn ein Therapieerfolg nicht mehr zu erwarten ist. Auch die
Äußerung, „keine lebenserhaltenden Maßnahmen“ zu wünschen, enthält jedenfalls für sich genommen keine hinreichend konkrete
Behandlungsentscheidung.
Im Einzelfall kann sich die erforderliche Konkretisierung bei einer weniger detaillierten Benennung bestimmter
ärztlicher Maßnahmen durch die Bezugnahme auf ausreichend spezifizierte Krankheiten oder Behandlungssituationen ergeben. Ob in solchen Fällen eine hinreichend konkrete Patientenverfügung vorliegt,
ist dann durch Auslegung der in der Patientenverfügung enthaltenen Erklärungen zu ermitteln.
Im vorliegenden Fall hat der Senat bereits in seinem Beschluss vom 08.02.2017
(XII ZB 604/15) ausgeführt, dass die Betroffene mit der Anknüpfung ihrer Regelungen zu den ärztlichen Maßnahmen, in die sie einwilligt oder nicht einwilligt, an die medizinisch
eindeutige Feststellung, dass bei ihr keine Aussicht auf Wiedererlangung des Bewusstseins besteht, hinreichend konkret eine Lebens- und Behandlungssituation
beschrieben hat, in der die Patientenverfügung Geltung beanspruchen soll.
Nach den vom Landgericht rechtsfehlerfrei durchgeführten weiteren Ermittlungen ist diese Lebens- und
Behandlungssituation auch gegeben. Nach dem Inhalt des eingeholten neurologischen Sachverständigengutachtens besteht bei der Betroffenen eindeutig ein Zustand
schwerster Gehirnschädigung, bei der die Funktionen des Großhirns - zumindest soweit es dessen Fähigkeit zu bewusster Wahrnehmung, Verarbeitung und Beantwortung
von Reizen angeht - komplett ausgelöscht sind. Dieser Zustand ist nach Meinung des Sachverständigen irreversibel.
Aufgrund dieser Feststellungen ist die Auffassung des Beschwerdegerichts, dass bei der Betroffenen keine Aussicht auf
Wiedererlangung des Bewusstseins besteht und damit die Lebens- und Behandlungssituation vorliegt, an die die Betroffene in ihrer Patientenverfügung den Wunsch geknüpft hat, dass lebensverlängernde
Maßnahmen unterbleiben sollen, aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.
Außerdem hat das Landgericht umfassend und sorgfältig geprüft, ob die Patientenverfügung auch eine Einwilligung der Betroffenen in den Abbruch bereits eingeleiteter lebenserhaltender Maßnahmen beinhaltet.
Hierbei hat es auf der Grundlage der schriftlichen Patientenverfügung zu Recht den Aussagen der vernommenen Zeugen besondere Bedeutung beigemessen, nach denen sich die Betroffene vor ihrer eigenen Erkrankung mehrfach dahingehend
geäußert hatte, dass sie nicht künstlich ernährt werden wolle.
Zudem hat sich das Beschwerdegericht im Rahmen seiner Auslegungserwägungen eingehend mit der Frage befasst, ob
die in der Patientenverfügung enthaltene Formulierung „aktive Sterbehilfe lehne ich ab“, dahingehend zu verstehen sein könnte, dass die Betroffene den Abbruch
lebenserhaltender Maßnahmen ablehnt und diese Frage verneint.
Weil die Betroffene für ihre gegenwärtige Lebenssituation eine wirksame Patientenverfügung erstellt hatte, ist diese
bindend: Die Gerichte sind damit nicht zur Genehmigung des Abbruchs der lebenserhaltenen Maßnahmen berufen, sondern hatten die
eigene Entscheidung der Betroffenen zu akzeptieren und ein Negativattest zu erteilen.
BGH, Beschluss v. 14.11.2018 - XII ZB 107/18
Quelle: BGH, Pressemitteilung v. 13.12.2018