Aachener Kanzlei für Familienrecht
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Urteile zum Kindergeldanspruch in zwei Ländern

Die grundsätzlich Kindergeld-anspruchsberechtigten Elternteile leben in zwei europäischen Staaten: der in Deutschland lebende Elternteil bezog Arbeitslosengeld II, der im EU-Ausland lebende war erwerbstätig und erhielt dort Kindergeld.

Der in Deutschland lebende Elternteil bezog Arbeitslosengeld II und wollte in Deutschland Kindergeld haben - das sah der BFH in seiner Entscheidung v. 26.07.2017 - III R 18/16 anders:

Zum einen binde die Entscheidung der ausländischen Behörde deutsche Familienkassen und Finanzgerichte. Zum zweiten sei der im Ausland lebende Elternteil erwerbstätig und habe daher einen vorrangigen Anspruch auf das Kindergeld für das gemeinsame Kind.

Außerdem seien Anspruchskonkurrenzen nach Art. 68 Abs. 1 der VO Nr. 883/2004 nicht nach den nationalen Regelungen (hier: §§ 62 ff. EStG), sondern nach den Vorschriften der Art. 11 bis 16 der VO Nr. 883/2004 zu lösen.

Der EuGH entschied am 6.11.2014 zum Kindergeldanspruch in zwei Ländern und dürfte damit seine Haltung gegenüber der Entscheidung vom 14.10.2010 geändert haben:

 

Im zugrundeliegenden, durch den Bundesfinanzhof vorgelegten Fall übte die Beklagte eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung in Deutschland aus. Nachdem sie nach Belgien gezogen war, bezog sie für ihren Sohn weiterhin Kindergeld von der Familienkasse der deutschen Agentur für Arbeit. In Belgien hätte ab dem Umzug ein Anspruch auf Familienbeihilfen bestanden, weil der Ehemann (= Vater des Kindes) in Belgien Anspruch auf Familienbeihilfen aufgrund der Ausübung einer Erwerbstätigkeit hatte, indem er in Belgien zunächst eine Leistung für Arbeitslose bezog und dann eine Erwerbstätigkeit ausübte.

Der belgische Anspruch wurde jedoch vom Ehemann nicht geltend gemacht. Als die deutsche Familienkasse von dem Umzug erfuhr, forderte sie die seit dem Umzug gewährten Leistungen in Höhe der belgischen Beihilfe zurück.

 

Die Familienkasse vertrat die Auffassung, dass der Frau für den streitigen Zeitraum zwar ein Kindergeldanspruch nach der deutschen Regelung zustehe, zugleich jedoch ein Anspruch auf Familienbeihilfen in Belgien bestehe (ca. 77 €/Monat). Nach den Art. 76 bis 79 der Verordnung Nr. 1408/71 ruhe der deutsche Kindergeldanspruch in Höhe der belgischen Familienbeihilfen, und es könne nur die Differenz zwischen den in Deutschland und in Belgien geschuldeten Beträgen ausgezahlt werden. Dass die in Belgien vorgesehenen Familienbeihilfen nicht beantragt worden seien, sei nach Art. 76 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1408/71 unerheblich. Denn diese Regelung solle gerade verhindern, dass das Zuständigkeitssystem der Verordnung Nr. 1408/71 dadurch umgangen werde, dass ein Versicherter darauf verzichte, Familienbeihilfen zu beantragen.

 

Der EuGH entschied nun, dass Artikel 76 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1408/71 dahin auszulegen ist, dass er dem Beschäftigungsmitgliedstaat erlaubt, in seinen Rechtsvorschriften vorzusehen, dass der zuständige Träger (im Fall die Familienkasse) den Anspruch auf Familienleistungen ruhen lässt, auch wenn im Wohnmitgliedstaat kein Antrag auf Gewährung von Familienleistungen gestellt worden ist. Der Träger habe im Falle einer solchen Vorschrift kein Ermessen bzgl. der Frage, ob der Anspruch ruhenzulassen sei. Damit musste die Familienkasse die nach den Rechtsvorschriften von Deutschland geschuldeten Familienleistungen ruhen lassen – nach deutschem Recht bis zur Höhe des nach belgischem Recht vorgesehenen Kindergeldbetrags.

 

Die Rückforderung des deutschen Kindergeldes war also berechtigt.

 

Urteil des EuGH in der Rs. C-4/13 vom 6. November 2014

Der EuGH entschied am 14. Oktober 2010 über die Höhe des Kindergelds bei kumulierenden Ansprüchen (C-16/09).
Im Ausgangsverfahren ging es um die Weigerung deutscher Behörden, der in Deutschland lebenden Mutter zweier Kinder das Kindergeld in voller Höhe zu gewähren. Die Mutter ist von dem Vater der Kinder geschieden, dieser arbeitet in der Schweiz. Gem. Art. 10 der Verordnung Nr. 574/72 ruht der Anspruch auf Familienleistungen, die nach dem Recht eines Mitgliedstaates geschuldet werden, wenn während desselben Zeitraums für dasselbe Familienmitglied Leistungen aufgrund der innerstaatlichen Rechts eines anderen Mitgliedstaates geschuldet werden (Antikumulierungsvorschrift). Laut EuGH setzt die Annahme einer Kumulierung aber voraus, dass die Familienleistung dem Familienangehörigen nach dem Recht des Staates, in dem er arbeitet, auch wirklich geschuldet ist. Das bedeutet, dass dieser alle formellen und materiellen Anspruchsvoraussetzungen erfüllen müsse, wozu auch ein Antrag auf Leistungsgewährung gehören könne. Im vorliegenden Fall hatte der Vater aber keinen Antrag auf Gewährung des Kindergelds in der Schweiz gestellt. Der EuGH legt Art. 10 der Richtlinie so aus, dass ein (nicht von einer Versicherung, Beschäftigung oder selbstständigen Tätigkeit abhängiger) Leistungsanspruch nach dem Recht des Mitgliedsstaates, in dem der Elternteil mit den Kindern, für die diese Leistungen gewährt werden, wohnt, nicht teilweise ausgesetzt werden darf.

Das gelte, wenn, wie im Ausgangsverfahren, der frühere Ehegatte, der der andere Elternteil der Kinder ist, grundsätzlich einen Anspruch auf Familienleistungen hat, diese faktisch aber nicht bezieht, weil er keinen entsprechenden Antrag gestellt hat.

Das Finanzgericht Köln hatte drei Fälle zu beurteilen, in denen Bürger anderer europäischer Länder (Niederlande und Polen) hier in Deutschland lebten, aber weiter in das Sozialsystem ihres Heimatlandes eingegliedert bleiben und auch dort Kindergeld beziehen. In diesen Fällen ist das deutsche Kindergeld allerdings um die ausländischen Leistungen zu kürzen.

Der Senat stützt sich hierin auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 12.06.2012 (RS C-611/10 und C-612/10, Hudzinski und Wawrzyniak). Gegenstand des EuGH-Urteils waren die Kindergeldansprüche eines von Polen nach Deutschland entsandten Arbeitnehmers und eines polnischen Saisonarbeiters. Hierzu hat der Gerichtshof entschieden, dass entsandte Arbeitnehmer und Saisonarbeiter aus Polen und anderen EU-Ländern nicht deshalb gänzlich vom Kindergeld in Deutschland ausgeschlossen werden dürften, weil sie in ihrem Heimatland vergleichbare Familienleistungen erhielten. Dies verstoße gegen die im EU-Vertrag garantierten Freizügigkeitsrechte.
Der 15. Senat vertritt in seinen Urteilen die Auffassung, dass der Anwendungsbereich dieser EuGH-Entscheidung nicht auf die entschiedenen Fallkonstellationen beschränkt sei, sondern dass diese Grundsätze auch und erst Recht für andere als entsandte oder nur saisonal beschäftigte Arbeitnehmer gelten, wenn diese von ihrem Freizügigkeitsrecht Gebrauch gemacht und ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt nach Deutschland verlegt haben. § 65 des Einkommensteuergesetzes, der einen inländischen Kindergeldanspruch im Falle des Bezuges ausländischer Familienleistungen ausschließt, verstoße nach Auffassung des Senats gegen die im EU-Vertrag garantierten Freizügigkeitsrechte. Diese Vorschrift sei daher dahingehend auszulegen, dass das deutsche Kindergeld lediglich um die ausländischen Familienleistungen gekürzt werden dürfe.


FG Köln (15 K 47/09, 15 K 930/09 und 15 K 2058/09)

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