Die DT 2018 erhöht den Bedarf der Kinder, senkt aber die Belastung der Zahlenden durch neue Einkommensgruppen. Das ist durchaus eine gravierende Änderung am
System.
Die große Frage ist, was das für laufende Fälle bedeutet. Sofern der Unterhalt schon tituliert ist mit einem gewissen Prozentsatz
(Jugendamts-Urkunde, Notarvertrag, gerichtliche Entscheidung, Vergleich vor Gericht), bleibt es ja zunächst bei diesem Prozentsatz, trotz der Änderung der Tabelle. Eine automatische Anpassung gibt es
ganz sicher nicht.
Wenn nun der Unterhaltsverpflichtete meint, dass die Verpflichtung nicht mehr richtig ist, muss er ganz förmlich Abänderung verlangen, zuerst
außergerichtlich, gegebenenfalls gerichtlich – nie rückwirkend.
Wäre das Abänderungsverlangen begründet, üerden die Verhältnisse komplett neu geprüft, auch da gibt es keine automatische
Anpassung. Vielleicht haben sich ja seit der Titulierung auch noch andere Faktoren verändert.
Ob aber die Neugestaltung der DT 2018 eine Abänderung bestehender Titel erlaubt, ist derzeit noch durch
keine veröffentlichte Entscheidung belegbar (Stand 22.2.2018).
Daher folgende Überlegungen dazu:
Zu differenzieren ist naturgemäß nach der Art des Titels.
1. Handelt es sich um eine gerichtliche Verurteilung?
Das ist zunächst für den Verpflichteten eher günstig, weil die Abänderungsschwelle des § 238 FamFG niedriger als bei § 239 FamFG liegt und weil die Rechengrundlage
klar ist. Die Neufassung des § 238 FamFG hat gegenüber 323 ZPO sprachlich klargestellt, dass auch die Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung ein Verfahren zulässig macht, soweit also dürfte
die Änderung der DT als solche genügen. Fraglich ist aber, ob die nötige "Abänderungsschwelle" erreicht ist, denn die Veränderung muss nach Abs. 4 "wesentlich" sein. Die Änderung der
Einkommensgruppen ansich ist schon wesentlich – es geht immerhin um 400 e Nettoeinkommen mehr oder weniger - aber es kommt im Abänderungsverfahren auf die Auswirkungen an. Hier geistern
verschiedene Prozenthürden durch die Literatur (5%? 10%?). Auch die niedrigere Hürde wird aber nicht genommen, wie sich aus diesem Rechenbeispiel ergibt: 3000 € Einkommen des Pflichtigen ergab 2017
für ein 15j. Kind eine Pflicht i.H.v. 120% und einen Zahlbetrag von 456 €. 3000 € Einkommen des Pflichtigen ergäbet 2018 eine Pflicht i.H.v. 115% und einen Zahlbetrag von 441 €. Faktisch zahlt der
Vater mit dem älteren Titel also nun 15 € zu viel – das sind aber deutlich weniger als 5%. Selbst in der höchsten Einkommensgruppe kommt man also nicht über diese Schwelle.
Interessant ist nun die Frage, ob die Änderungsbeiträge bei mehreren Kindern für die Frage der Wesentlichkeit addiert werden. Dagegen spricht: Jedes Kind ist ein
eigener Verfahrensgegner, keine Gesamtgläubigerschaft. Dafür spricht: Für den Pflichtigen ist die Zuvielzahlung in Summe wesentlich, und er kann eine Anpassung nur erreichen, indem das bei jedem
einzelnen Gläubiger berücksichtigt wird.
2. Handelt es sich um einen gerichtlichen Vergleich oder um eine notarielle
Vereinbarung?
Bei dieser Abänderung wäre nach § 239 FamFG vorzugehen. Bei gesetzlichem Unterhalt gilt § 313 BGB (Wegfall der Geschäftsgrundlage). Dann ist die Abweichung von den
Vorstellungen der Parteien maßgeblich. Geschäftsgrundlage sind die nicht zum eigentlichen Vertragsinhalt erhobenen, bei Vertragsschluss aber zutage getretenen gemeinsamen Vorstellungen beider
Vertragsparteien sowie die der einen Vertragspartei erkennbaren und von ihr nicht beanstandeten Vorstellungen der anderen vom Vorhandensein oder dem künftigen Eintritt gewisser Umstände, sofern der
Geschäftswille der Parteien auf diesen Vorstellungen aufbaut (so langjährige BGH-Formulierung).
Bei Unterhaltsvereinbarungen wird der Geschäftswille der Vertragsparteien dabei regelmäßig auf der gemeinschaftlichen Erwartung vom Fortbestand einer bestimmten
Rechtslage aufgebaut sein (vgl. BGH 25. 11.2009 - XII ZR 8/08). Bei äquivalenzstörender Veränderung ist eine Anpassung an den (ggf. hypothetischen) Parteiwillen vorzunehmen, sofern der
benachteiligten Partei ein Festhalten an der bisherigen Regelung nicht zuzumuten ist.
Erste Frage: Ist die Einkommensgruppe, die dem titulierten Prozentsatz entspricht, Teil der Vorstellungen gewesen? In der Praxis sicherlich. Der Kindesunterhalt wird
ja fast immer an die DüssTab angelehnt. Für das Abänderungsverfahren ist es allerdings immer eine Zulässigkeitshürde, wenn die Vorstellungen nie aktenkundig geworden sind. Daher müsste man
argumentieren, wenn die DüssTab irgendwie im Schriftverkehr in Bezug genommen wurden, dass die Gruppierung nach Einkommen durchaus zu den beiderseitigen Vorstellungen gehörte. Vielleicht ist diese
Hürde in der Praxis gar nicht so hoch.
Nächstes Problem: Auch eine schwerwiegende Veränderung der Vertragsgrundlage ist unerheblich, wenn ein Festhalten an der Vereinbarung nicht unzumutbar ist, so BGH -
Beschluss vom 11.02.2015 (XII ZB 66/14).
Wie bei § 238 FamFG wird also auch hier eine Wesentlichkeitsgrenze beachtet werden.
Und dann – siehe oben.
Die Abänderung von Vergleiches ist gegenüber der Abänderung von Beschlüssen (Urteilen) also mindestens genau so schwierig.
3. Handelt es sich um eine einseitige Unterwerfung (JA-Urkunde, not.
Schuldanerkenntnis?).
Der Sache nach gilt hier nicht § 239 Abs. 1 FamFG, wenn der Urkunde keine Vereinbarung der Parteien zugrunde liegt (die könnte sich aber aus dem außergerichtlichen
anwaltlichen Schriftverkehr ergeben – dazu unten).
Sonst: Der Schuldner ist materiellrechtlich gebunden. Der Titel ist zugleich Schuldanerkenntnis nach § 781 BGB.
Was er zur Abänderung vortragen muss, ist streitig:
Meinung a): Heutige Unrichtigkeit genügt. Wenn in der Urkunde keine Grundlagen genannt sind, muss der Schuldner nur vortragen, dass
der Titel nicht mit der materiellen Rechtslage übereinstimmt – so OLG Nürnberg Beschluss vom 14.10.2003 (10 WF 3007/03). Das wäre ja der Fall, wenn das bereinigte Einkommen nach der DüssTab einem
anderen Zahlbetrag entspräche.
Problem: Die DüssTab ist kein materielles Recht, hat keine Gesetzeskraft, ist nur Empfehlung. Kann das Ergebnis also überhaupt „unrichtig“ sein? Gegenrede: In der
Praxis wird die DüssTab gehandhabt, also ob es ein Gesetz sei.
Meinung b) Jede Veränderung berechtigt zur Abänderung: Wegen der Einseitigkeit ist hier nur die Änderung der Sach- und Rechtslage
maßgeblich, nicht eine Änderung der Geschäftsgrundlage. Dasselbe Problem: Ist die Änderung der DüssTab eine Änderung der Rechtslage? Oder der Sachlage? Könnte man beides verneinen oder bejahen.
Meinung c) Lediglich Unzumutbarkeit prüfen! Laut OLG Düsseldorf - Beschluss vom 28.02.2012 (II-1 UF 306/11) sind 239 FamFG / 313
BGB auch auf Jugendamtsurkunden anzuwenden. Führt die Unterhaltshöhe zur Unzumutbarkeit (damit könnte der Selbstbehalt gemeint sein), wird abgeändert. Dann aber gilt wieder: die Beträge sind so
klein, dass es daran wohl scheitert.
Meinung d) Veränderung + Unzumutbarkeit prüfen, vgl. OLG Hamm - Beschluss vom 08.06.2011 (II-8 UF 252/10), BGH - Urteil vom
04.05.2011 (XII ZR 70/09), OLG Hamm - Beschluss vom 16.11.2011 (II-8 UF 96/11), OLG Hamm - Beschluss vom 20.03.2013 (8 UF 211/12), OLG Saarbrücken - Beschluss vom 11.02.2014 (9 UF 71/14).
Das Ergebnis ist wieder dasselbe: es scheitert spätestens an der Unzumutbarkeit, wenn nicht gar schon an der fehlenden Veränderung.
4. Handelt es sich zwar um einen einseitigen Titel, aber als Ergebnis von Verhandlungen oder
im Rahmen einer Gesamteinigung?
Nicht selten ist die Fallgestaltung, dass aussergerichtlich von Anwalt zu Anwalt schriftlich um den Unterhalt gerungen wird, man sich am Ende einigt, und dann um die
kostenlose Titulierung beim Jugendamt gebeten wird. Dann gilt wieder dasselbe wie unter 2, bei Vergleichen, so BGH - Beschluss vom 07.12.2016 (XII ZB 422/15).
Mein persönliches heutiges, dem weiteren Denken und Anregungen unterworfenes
Fazit:
Da der Zahlbetrag durch die Änderung der DüssTab 2018 nur um wenige Euro abweicht, wird eine Abänderung nur in Betracht kommen, wenn die Verhältnisse des Pflichtigen
so dramatisch beengt sind, dass es unzumutbar ist, ihn an dem Titel festzuhalten. Das könnte etwa die Fallgestaltung sein, in der nach der alten DüssTab noch kein Mangelfall vorlag, und der
Pflichtige sowieso schon nur den notwendigen Selbstbehalt hat, und ihm keinerlei Selbsthilfe fingiert werden kann, z.B. als Erwerbsunfähigkeitsrentner.
In allen anderen Fällen dürfte das Abänderungsverlangen scheitert, sei es an der „Wesentlichkeit“ oder „Zumutbarkeit“. Dafür spricht wohl auch die ratio der
DüssTab. Wer die neuen Einkommensgruppen geschaffen hat, hat das Thema der Abänderung sicher auch gesehen und wollte ganz sicher nicht die Justiz im Massengeschäft Unterhalt mit Abänderungsverfahren
überrollen. Die DüssTab hat ja genau das Gegenteil zum Ziel: Entlastung der Justiz durch Generalisierung unter Hinnahme von Einzelfallungerechtigkeit.
Um Rechtsfortbildung zu betreiben, eignen sich daher besonders Fälle, in denen beim Auftreten mehrerer Kinder der Gesamtbetrag
erheblich ist und der Schuldner durch die titulierten Beträge deutlich unter den jetzt zu seinem Einkommen passenden Bedarfskontrollbetrag oder gar unter den notwendigen Selbstbehalt
gerät.
Falls hier Kollegen mitlesen, die schon gerichtliche Entscheidungen zu dieser Frage erstritten haben, bitte gerne weiterleiten an mich!
Martina Mainz-Kwasniok, Fachanwältin für Familienrecht, Aachen